„Wir müssen uns dem Konkurrenzkampf stellen“
Auf die Frage, wie die ersten Wochen im…
Der gemeinnützige Düsseldorfer Verein „delfine therapieren menschen“ hilft seit mehr als 27 Jahren bei der Realisierung delfingestützter Therapien. Mehr als 4.500 Menschen wurden bisher unterstützt und betreut. Zwei von ihnen sind Raphael Bratzel und Karolina Herzog.
Der siebenjährige Raphael Bratzel – hier mit einer Therapeutin – kam mit Down-Syndrom zur Welt. Die Delfintherapie hat ihm bei seiner Entwicklung geholfen.
Der siebenjährige Raphael Bratzel aus Wuppertal ist ein fröhlicher kleiner Junge, er lacht viel, tobt und spielt gern. Aber Raphael ist nicht wie andere Kinder in seinem Alter, denn er wurde mit dem Down-Syndrom geboren. Deshalb verläuft seine geistige und körperliche Entwicklung insgesamt verzögert. „Raphael ist erst im Alter von zwei Jahren und drei Monaten gelaufen. Das Sprechen fällt ihm bis heute schwer, er versteht zwar alles genau, spricht aber nur vereinzelt ganze Sätze“, erklärt seine Mutter. Geistig sei er etwa auf dem Stand eines Dreijährigen, so Sandra Bratzel weiter. Zudem leidet er unter anderem an Schlafapnoe und an einer angeborenen Muskelhypotonie, also einer verringerten Muskelspannung – ein Grund für die motorische Entwicklungsverzögerung. Für Sandra und Philipp Bratzel war von Anfang klar, dass sie ihrem Sohn mithilfe individueller, gezielter Förderung ein weitestgehend selbstständiges Leben ermöglichen wollen. Deshalb haben sie schon wenige Monate nach Raphaels Geburt neben den üblichen Therapieangeboten wie Ergo- und Physiotherapie sowie Logopädie den Austausch mit anderen betroffenen Familien gesucht und recht schnell eine entsprechende Facebook-Gruppe gefunden. „In dieser Gruppe habe ich bereits, als Raphael erst ein Jahr alt war, von einer anderen Mutter von der tiergestützten Therapie mit Delfinen gehört. Deren Kind ist drei Jahre älter als unser Sohn und hatte damals bereits mithilfe des Vereins ‚delfine therapieren menschen‘ seine erste Therapie mit großem Erfolg abgeschlossen“, erzählt Sandra Bratzel.
Der 1996 in Düsseldorf – damals noch unter dem Namen „dolphin aid“ – gegründete gemeinnützige Verein „delfine therapieren menschen“ unterstützt, übrigens einmalig in Deutschland, hauptsächlich Kinder, aber auch Erwachsene, mit körperlichen und geistigen Einschränkungen bei der Realisierung einer solchen Therapie. Dafür kooperiert er derzeit mit einem Therapiezentrum auf der Karibikinsel Curaçao sowie einem weiteren in Florida. „Entscheidend ist dabei für uns immer die Gewährleistung einer artgerechten Haltung der Delfine“, erklärt Marion Siems. „Die Therapiezentren müssen sich am und im Meer befinden, sodass die Tiere in abgetrennten Lagunen in ihrer natürlichen Umgebung leben“, so die Geschäftsführerin des Vereins weiter. Ein wichtiges Kriterium ist darüber hinaus der ganzheitliche Ansatz der Therapie. „In dem eigens entwickelten Konzept, dessen nachhaltige Wirkung wissenschaftlich belegt ist, stehen vorhandene Fähigkeiten im Fokus und sollen aktiviert und verbessert werden.“ Zudem sind Eltern und Geschwister ein bedeutender Teil des Konzepts und werden stets miteinbezogen. Eine Therapie dauert zwei Wochen und kostet für eine vierköpfige Familie inklusive Flügen und Unterbringung rund 16.000 Euro, wobei die Hälfte für die Therapie selbst anfällt. Sie wird bisher von den Krankenkassen nicht bezuschusst. Deshalb erfolgt die Finanzierung in der Regel über Spenden. Dazu richtet delfine therapieren menschen ein Spendenkonto ein und übernimmt die Verwaltung.
Familie Bratzel nahm also mit dem Verein Kontakt auf und informierte sich über die Möglichkeiten – und dann wurde schnell beschlossen, dass auch Raphael eine solche Therapie bekommen sollte. „Natürlich war uns von Anfang an klar, dass es für Raphael keine Heilung gibt, aber die Delfintherapie hat sich ja sehr bewährt und kann sowohl die Mobilität als auch die kognitiven Fähigkeiten deutlich verbessern – diese Chance wollten und wollen wir unserem Kind nicht vorenthalten“, so Sandra und Philipp Bratzel übereinstimmend. Trotz einiger Ersparnisse war es allerdings eine Herausforderung, die für die Therapie notwendige Summe zu beschaffen. Also hat Sandra Bratzel verschiedene Stiftungen angeschrieben, Flyer produziert und verteilt sowie eine ganze Reihe von Spendenaktionen in den sozialen Medien organisiert. Und so konnte im Januar 2020 eine Therapie im Curaçao Dolphin Therapy Center (CDTC) finanziert werden – und diese war von Erfolg gekrönt. „Gleich zu Beginn werden die angestrebten Ziele mit den Therapeuten besprochen. Uns war es wichtig, Raphaels Sprache und Konzentrationsfähigkeit zu verbessern – beides ist bereits in der ersten Therapiewoche gelungen“, erklärt Philipp Bratzel. Raphael sei durch die ganzheitliche, intensive Therapie – zwei Wochen lang von Montag bis Freitag jeweils zwei Stunden – auch viel mutiger geworden, ergänzt seine Mutter. Hatte er vorher noch Angst vor so manchem Tier, wurde der Delfin sogar geküsst. Nur zwei Jahre später war die Familie, zu der auch Raphaels zweieinhalb Jahre jüngerer Bruder gehört, erneut auf Curaçao – dieses Mal sollten wieder die Sprache und zudem die sensorische Integration, also die Wahrnehmung, gefördert werden. Aufgrund des nachhaltigen Erfolgs und der großen Fortschritte, die Raphael nicht nur während der Therapien, sondern auch im Anschluss zu Hause gemacht hat, ist die nächste Therapie bereits gebucht und bezahlt. „Unser großes Ziel ist es, die Therapien alle zwei bis drei Jahre fortzusetzen, um unserem Sohn möglichst viel Selbstständigkeit zu ermöglichen. Deshalb laufen unsere Spendenaktionen stetig weiter, im vergangenen Jahr gab es in Wuppertal sogar ein Benefizkonzert zugunsten von Raphael“, erzählt Sandra Bratzel.
„Entwicklungsfortschritte sind in jedem Alter möglich“, sagt auch Agnes Herzog aus Düsseldorf. Ihre Tochter Karolina, heute 26 Jahre alt, leidet am Mowat-Wilson-Syndrom, einer sehr seltenen genetischen Störung, die unter anderem dazu führte, dass sie nicht sprach und ihre motorische Entwicklung sehr verzögert verlief, sie beispielsweise erst im Alter von zwei Jahren anfing zu stehen und zu laufen. „Wir haben die Diagnose erst 2016 erhalten, wussten also fast 20 Jahre lang nicht, was genau Karolina fehlt, und haben immer nach Therapiemöglichkeiten gesucht, die über das übliche Angebot in der Heimat beziehungsweise in Deutschland hinausgehen“, erklärt Agnes Herzog. Ihre Recherche führte sie schließlich zur delfingestützten Therapie – und sie beschloss, es zu versuchen. „Es hat dann zwei Jahre gedauert, bis ich mithilfe meiner Ersparnisse und vieler Privatspenden aus meinem großen Netzwerk – ich bin in der Medienbranche tätig – die notwendige Summe beisammenhatte“, erinnert sich die engagierte Mutter. Im Jahr 2004 absolvierte Karolina dann ihre erste Therapie in Florida, und zwar mit dem Ziel, Sprache und Gleichgewicht zu fördern. Und dort geschah das, was Agnes Herzog ein Wunder nennt, denn ihre Tochter begann tatsächlich zu sprechen, und zwar zunächst englische Wörter, weil die Therapie vorrangig in englischer Sprache stattfand. Später kamen auch deutsche Wörter hinzu, und auch, wenn sie noch keine Sätze bildete, konnte sie doch plötzlich ihre Wünsche artikulieren. „Vor der Therapie wurde sie drei Jahre lang logopädisch behandelt – ohne nennenswerten Erfolg“, so die Mutter.
Aufgrund des „Wunders“ war für Agnes Herzog klar, dass sie ihrer Tochter weitere Delfintherapien ermöglichen würde. 2006 waren die beiden dann erneut in Florida, 2009 und noch einmal 2022 waren sie auf Curaçao. Dort soll auch 2024 oder 2025 die nächste Therapie stattfinden, aber zunächst muss die Finanzierung gesichert sein. Deshalb gibt es noch keinen festen Termin. Karolina Herzog ist ein gutes Beispiel dafür, dass Erfolge sich auch bei Erwachsenen einstellen, denn jede einzelne Therapie hat zu weiteren Fortschritten geführt. Heute bildet Karolina ganze Sätze, kann eine Unterhaltung führen und partizipiert am täglichen Leben. Sie fällt ihre eigenen Entscheidungen und kann diese auch mitteilen. Ihre kognitiven Fähigkeiten wurden gefördert, ihre Feinmotorik und ihr Gleichgewicht wurden gestärkt – sie kann sicher laufen und sogar sportlich aktiv sein.
Darüber, dass die delfingestützten Therapien nicht allein für die Fortschritte ihrer Kinder gesorgt haben, sondern als Ergänzung zu allen möglichen in Deutschland angebotenen Therapieformen betrachtet werden müssen, sind sich die Eltern einig. „Die Therapien bieten unseren Kindern eine große Chance, ein möglichst eigenständiges und selbstbestimmtes Leben zu führen“, sagen sie übereinstimmend.