„Wir müssen uns dem Konkurrenzkampf stellen“
Auf die Frage, wie die ersten Wochen im…
Schauspieler, Sänger, Regisseur: André Kaczmarczyk (36) ist am Düsseldorfer Schauspielhaus in vielen Genres daheim. Ein Liebling des Publikums, der sich seit 2016 mit schwierigen Rollen profilierte. Doch seit über einem Jahr macht er auch im Fernsehen Furore, als Kommissar Vincent Ross im „Polizeiruf 110“. Ein Gespräch über seine Arbeit auf der Bühne und vor der Kamera.
André Kaczmarczyk ist in der Welt des Theaters zu Hause, arbeitet aber auch fürs Fernsehen.
Sieben Jahre NRW-Landeshauptstadt – mit welchen Gefühlen kamen Sie damals vom Staatsschauspiel Dresden ans Düsseldorfer Schauspielhaus?
Oh ja, das verflixte siebte Jahr! Düsseldorf war für mich ein weißer Fleck auf der Landkarte, und ich kam durchaus mit gemischten Gefühlen hier an. Doch inzwischen lebe ich sehr gern in dieser kosmopolitischen Stadt, die etwas Weltstädtisches und Metropolenhaftes verströmt. Dass ich ihr so nahekomme, hätte ich anfangs nicht gedacht. Allerdings gestehe ich, dass es mich nach sieben Jahren auch woanders hinzieht.
Für die Fotos zu diesem Porträt haben Sie die Gegend um den S-Bahnhof Zoo ausgesucht. Warum?
Mir gefällt diese merkwürdige, widersprüchliche Ecke. Hier mischt sich auf interessante Weise Altbaubestand mit zeitgenössischer Architektur, sodass sich etwas Unwirkliches, fast Surreales ergibt – wie eine inszenierte Realität. Diese künstlich angelegte, konstruierte Allee da unten finde ich faszinierend. Außerdem gibt es hier viele Cafés, und gern bin ich auch auf der Rethelstraße zum Einkaufen.
Die Zuneigung des Theaterpublikums war Ihnen von Anfang an sicher. Großen Anteil daran hatten die beliebten Liederabende mit dem Ensemble, die Sie entwickelt haben, eine neue Farbe auf der Bühne.
Stimmt. Ich fühlte mich von Anfang an umarmt. Die positive Resonanz auf meine Arbeit machte natürlich das Ankommen und auch das Bleiben leichter. Die Möglichkeiten, die ich hier hatte und habe, findet man nicht überall. Dass ich auch inszenieren durfte, um wieder etwas Neues für mich zu entdecken, ist ein großer Luxus, den ich genieße und für den ich dankbar bin. „Cabaret“ machen zu können, war ein riesiges Geschenk. Wir sind froh, es auch in der jetzigen Spielzeit noch zu zeigen.
Genau wie Ihren „Macbeth“, den Sie als gequälte Seele darstellen. Ihm folgte nun, von Kritik und Publikum begeistert aufgenommen, „Richard III.“. Ein ganz anderer Charakter?
Dieser König ist kein sehr ersprießlicher Zeitgenosse. Anders als Macbeth greift er mit Kalkül und Machthunger nach der Krone. Er betrügt und manipuliert mit allen Mitteln, um an sein Ziel zu kommen. Eine extrem spannende Figur, voller Abgründe.
Danach wartet ein Spagat auf Sie, die Regie des Familienstücks „Der Teufel mit den drei goldenen Haaren“. Mochten Sie als Kind die Märchen der Brüder Grimm?
Mir wurde sehr intensiv vorgelesen, und ich habe sie auch auf dem Kassettenrekorder abgespielt. Viele konnte ich fast auswendig. Neben der Lust am Gruseln und den dunklen Gestalten wie der bösen Stiefmutter oder dem Rumpelstilzchen hat mich auch die extreme Brutalität dieser Märchen berührt. Natürlich habe ich heute einen anderen Blick darauf und interessiere mich bei allem Fantastischen auch für die tiefenpsychologische Dimension.
Lassen sich Märchen noch zeitgemäß umsetzen?
Märchen haben einen Kern, der eine gewisse Zeitlosigkeit hat – zumindest für mich. Die Verhältnismäßigkeiten von Gut und Böse, Recht und Unrecht, Wunsch und Wirklichkeit sind ja Komplexe, die die Menschen anhaltend beschäftigen. Insofern sind sie aus meiner Sicht noch immer erzählenswert und relevant. Aber natürlich tragen diese Geschichten auch Aspekte in sich, die uns unzeitgemäß erscheinen und die in der Umsetzung herausfordernd sind. Im Umgang mit diesen alten Texten ist das eine Arbeit des Ausbalancierens und Abwägens.
Mit „Folies! Folies! Finis.“ setzen Sie ein Projekt mit Studierenden des Schauspielstudios um.
Dramaturgin Janine Ortiz und ich haben die Leitung gemeinsam übernommen. Im Rahmen dieser Mentorenschaft inszeniere ich ein Stück, das Texte der französischen Dichter Labiche und Feydeau zur Grundlage hat. Beide waren Meister der Theaterform des Vaudevilles – grotesk, bissig, angriffslustig, komödiantisch verspielt, oft mit Musik und Tanz. Diesem Genre der Belle Époque wollen wir lustvoll nachspüren. Keine absolute Hauptfigur, alle möglichst gleichwertig, lebendig, theatral, gerne auch bewegungsreich und musikalisch – all diese Parameter soll die Studio-Inszenierung der Studierenden erfüllen.
Wie können Sie junge Schauspieler in ihren Träumen und Hoffnungen unterstützen?
Ich unterrichte seit sechs Jahren an der Folkwang-Schule in Essen, insofern ist mir das Ganze schon etwas vertraut. Wichtig ist, dass sie von jemandem in die Theaterwelt begleitet werden, der aktiv in diesem Beruf arbeitet und aus seiner Praxis heraus Fragen beantworten kann. Gleichzeitig werden ihnen auch technische Fertigkeiten vermittelt, die ein wichtiges Fundament im Berufsalltag sind.
Neben dem Theater sind Sie noch der Verlockung des Fernsehens erlegen. Ihr Kommissar ist in Kleidung und Optik anders als alle anderen. Vincent Ross trägt Röcke und ist dezent geschminkt. Wer hat die Figur entwickelt?
Vieles ist im Gespräch entstanden; anfangs gab es mehrere, sehr unterschiedliche Skizzen für den neuen Charakter. Die Richtung, die es schließlich genommen hat, war erst mit den szenischen Entwürfen im ersten Drehbuch klar. Und auch jetzt noch befindet sich die Figur im Prozess des Aushandelns; es ist ein fortwährendes Beschleunigen und Bremsen. Ich selbst erfahre ja auch erst mit jedem neuen Drehbuch, wie es mit der Figur weitergeht.
Als Mann, der bekanntermaßen das Wechselspiel der Geschlechter liebt, dürfte Ihnen das sehr entgegenkommen. Was ist der Reiz daran?
Das Uneindeutige. Wenn man sich in einen Grenzbereich begibt, hat man die Möglichkeit, Dinge aufzulösen, die als gegeben hingenommen werden.
Gibt es noch weitere Fernsehprojekte?
Im Sommer habe ich in Berlin eine ZDF-Serie zum Thema Kinderkriegen, Hebammen und Krankenhaus gedreht. Sendetermin soll noch dieses Jahr sein. Am Set war echtes Klinikpersonal, damit alles richtig abläuft. Ich bin der Arzt auf der Säuglingsstation. Eine Hebamme hat mir gezeigt, wie man die winzigen Frühchen hält und sie beatmet. Sehr spannend, und wieder eine total neue Welt für mich.
Aber nicht, dass das Fernsehen plötzlich die Oberhand behält und Sie der Bühne abtrünnig werden.
Nein, dafür bin ich in der Welt des Theaters viel zu sehr zu Hause. Ich könnte nicht sein ohne Theater. Ich merke nur, dass viel Bewegung in mein Leben gekommen ist. Die Arbeit vor der Kamera ist ein Teil meines Berufes, den ich erst jetzt entfalten kann. Das ist unglaublich inspirierend für mich als Mensch und als Künstler: andere Zusammenhänge kennenlernen, Entdeckungen machen, neue Menschen treffen, andere Perspektiven entwickeln. Die Fenster aufmachen und frische Luft reinlassen – wie herzerfrischend, wie bereichernd, wie toll.