Das kreative Rückgrat der Stadt
Düsseldorf ist eine Kunststadt. Das sieht man allerdings…
In der Gastkolumne dieser Top Magazin Ausgabe wirft Dieter Nuhr exklusiv einen Blick auf Düsseldorf als Kunststadt. Wie – Sie wissen nicht, dass sich der Erfolgskabarettist (Nuhr im Ersten) mittlerweile auch als bildender Künstler einen Namen gemacht hat? Gerade erst waren seine konzeptuellen Fotografien im Maxxi in Rom und in der Düsseldorfer Galerie Geuer und Geuer zu bewundern, bis September stellt er neben Künstlern wie Günther Uecker, Heinz Mack und Gerhard Richter auf der Sylt Art Fair aus und ab Oktober geht‘s ins Ludwig Museum in Koblenz.
Düsseldorf ist eine Kunststadt. Das sieht man allerdings nicht überall. In Teilen von Eller ist Künstlerisches unsichtbar, und auch in Gerresheim gibt es mehr Bäume als Skulpturen. Das ist nicht schlimm. Kunst ist ja nicht alles. Ich zum Beispiel bin Künstler und verbringe meinen Tag durchaus auch mit anderen abstrakten Tätigkeiten wie Gucken, Gehen und Atmen. Man sagt: Ohne Kunst ist alles nichts. Ohne Atmung aber auch.
Düsseldorf ist eine Stadt der Künstler – was übrigens Künstlerinnen und Transkünstler mit einschließt, weil mit dem Wort „Künstler“ das abstrakte Amt des Künstlers gemeint ist und nicht eine bestimmte Person. Wer unter der geschlechtsneutralen Formulierung „Künstler“ leidet, weil er sich nicht genannt fühlt, sollte an seiner Resilienz arbeiten.
Künstler sind in Düsseldorf überall, auch wenn es nicht mehr so auffällt wie früher. Früher erkannte man die Malenden, Fotografierenden und Bildhauenden an ihren „Hallo-ich-bin-Künstler-Hüten“, jenen Männerkopfbedeckungen, die man ab 1970 nur noch mit Ironie tragen durfte, meist etwas zu klein. Josef Beuys war das Düsseldorfer Vorbild aller Hut-Ironiker. Er galt als Revolutionär, trug aber diesen bürgerlichen Deckel. Das kam bei den nonkonformistischen Uniformträgern gut an.
Unmännliche Künstler – oder wie man früher sagte: Künstlerinnen – erkannte man am Pony, der meist rot gefärbt und handgeschnitten war, mit der gleichen Schere, mit der man auch den Schnittlauch aus dem Blumenkasten holte. Die Schnittkante lief leicht schräg und kantig, denn man glaubte, gekonntes Handwerk schade der Authentizität.
Heute laufen die Künstler herum, wie sie wollen. Und jede Verkäuferin, jeder Schönheitschirurg und jeder Klempner fühlt sich ein bisschen als Paradiesvogel. Klempnerinnen und Transklempner auch. Ich empfinde das als großartig. Die Welt ist sehr viel bunter als 1970, als ich in kurzer Lederhose ins Leibniz-Gymnasium eingeschult wurde, wo es noch Lehrer gab, die vor dem Krieg Rassenlehre unterrichtet hatten. Die Obrigkeit war damals noch braun-grau. Wie meine Hose.
Manche Künstler sehen heute aus wie früher Geografie-Lehrer. Auch das ist prima! Sie sind offenbar über den Status der eigenen Karikatur hinaus. Nicht mehr das Lackiererhütchen macht den Künstler, sondern das Werk. Das Sein ist heute wichtiger als der Schein.
Das ist in Düsseldorf nicht selbstverständlich! Hier gilt nicht selten die Existenz als Funktion des Aussehens. Nicht wenige in unserer Stadt glauben, dem Altern mit dem Laser und Nervengift entkommen zu können. Das ist schön, denn die Hoffnung stirbt zuletzt, selbst wenn sie Botox heißt. Die Kunstschaffenden dieser Stadt sind ihr kreatives Rückgrat, die schrägen Vögel, die der manchmal ziemlich glatten Stadt ihre Kanten verleihen. Dafür gebührt ihnen Dank.