„Wir müssen uns dem Konkurrenzkampf stellen“
Auf die Frage, wie die ersten Wochen im…
Seit seiner Gründung durch Bernhard Paul im Jahr 1975 und dem Start des ersten Programms im Frühjahr 1976 ist der Circus Roncalli ein Familienunternehmen, zu dem seit 25 Jahren auch das Apollo Varieté gehört. Und das soll auch künftig so bleiben – deshalb hat der Gründer bereits vor einigen Jahren begonnen, den Generationswechsel einzuleiten und seinen Kindern immer mehr Verantwortung zu übertragen.
Für die ganze Familie Paul ‒ von Vater Bernhard (l.) bis Mutter Eliana Larible-Paul (r.) ‒ ist die Zirkuswelt ihr Zuhause. Die Kinder Vivan (l.), Lili und Adrian sind sogar im Zirkus groß geworden.
Dass seine Kinder Vivian (33), Adrian (31) und Lilian (genannt Lili, 24) den Circus Roncalli und das vor 25 Jahren gegründete Apollo Varieté einmal übernehmen würden, stand für Bernhard Paul nie infrage. Und für die drei Kinder auch nicht. „Schon als sie noch ganz klein waren, war mir klar, dass die drei eines Tages meine Nachfolge antreten würden. Sie leben und fühlen den Zirkus, haben schon als kleine Kinder artistische Nummern eingeübt und sind früh in der Manege aufgetreten. Sie konnten sich nie ein anderes Leben vorstellen“, erinnert sich Bernhard Paul. Dabei ist allen Familienmitgliedern – auch die Ehefrau und Mutter Eliana Larible-Paul ist Artistin, sie stammt aus einer alten italienischen Zirkus-Dynastie – durchaus bewusst, dass ein Zirkus etwas ganz Besonderes und mit einem „normalen“ Unternehmen nicht vergleichbar ist. „Würden wir beispielsweise Industrieprodukte herstellen, hätten wir uns vielleicht gegen eine Übernahme entschieden. Aber der Zirkus ist nicht nur unser Zuhause, sondern bietet uns auch den schönsten Job der Welt, denn wir schenken Freude und glückliche Stunden“, erklärt Adrian Paul. Diese positive Energie habe er bereits als Kind gespürt.
Genau diese emotionale Bindung ist auch bei Vivian Paul-Roncalli seit frühester Kindheit vorhanden, auch wenn sie aktuell nicht auftritt, sondern stattdessen eher backstage arbeitet, sich beispielsweise um das Casting der Künstler kümmert. „Wir übernehmen seit einigen Jahren Schritt für Schritt mehr Bereiche und mehr Verantwortung, wobei wir darauf achten, dass jeder von uns möglichst das macht, was er am besten kann“, sagt sie. So hat Adrian Paul bereits im Frühjahr 2017 die künstlerische Leitung des Apollo Varietés übernommen, inzwischen ist die Theaterleitung dazugekommen. Und auch Lili Paul-Roncalli ist stets über alles informiert, bringt eigene Ideen ein und ist wie ihre beiden Geschwister Beiratsmitglied des Familienunternehmens. „Lili ist aktuell zwar nicht so aktiv im Tagesgeschäft, weil sie, unter anderem durch ihre Teilnahme an Let’s Dance, gerade die vielleicht einmalige Chance hat, ihre eigene Karriere auf- und auszubauen. Sie ist aber mit ihrem Selbstbewusstsein und ihrem Charisma das Gesicht von Roncalli“, erläutert Vivian.
Bei all diesen unternehmerischen Herausforderungen kommt es den Geschwistern sehr zugute, dass sie von Anfang an im Zirkus mithelfen mussten: Vom Auf- und Abbau über Licht und Ton bis hin zum Kellnern im Kaffeewagen gab es jede Menge zu tun. Darüber hinaus sind sie alle drei stets auch selbst als Artisten aufgetreten, was die Zusammenarbeit mit den Künstlern, die sie beschäftigen, deutlich einfacher macht. „Wir können beispielsweise Schwierigkeitsgrade besser einschätzen und haben sicher mehr Verständnis als jemand ohne diese Erfahrungen“, erklärt Adrian. Außerdem habe ihr Vater, so die Geschwister weiter, sehr früh begonnen, ihnen alle seine Entscheidungen zu erklären. „Man muss ja kein Prophet sein, um zu wissen, dass das Leben endlich ist. Also ist es wichtig, die Kinder frühzeitig einzubeziehen und ihnen keine Rätsel zu hinterlassen“, so Bernhard Paul. Deshalb wird in der Familie Paul sehr viel miteinander geredet, wobei die drei Geschwister ihre Entscheidungen immer demokratisch fällen – das letzte Wort hat aktuell noch der Vater.
Darüber hinaus hat der 75-Jährige seinen Zirkus immer schon vorausschauend und auf die Zukunft ausgerichtet geführt. Dazu gehört für ihn auch ein gutes Betriebsklima. „Die meisten unserer Mitarbeitenden fühlen sich dem Zirkus und unserer Familie eng verbunden, manche sind schon seit Jahrzehnten bei uns“, berichtet Bernhard Paul nicht ohne Stolz. Darüber hinaus ist der Circus Roncalli bereits seit 2018 ein Zirkus ohne Tiere – diese werden ausschließlich als Hologramme gezeigt. Seitdem verzichtet der Zirkus zudem komplett auf Plastik und bietet neben Fleisch auch vegetarische und vegane Speisen an. „Mir war es immer wichtig, mein Unternehmen gut und erfolgreich in dieses Jahrhundert zu führen“, sagt der Zirkusdirektor. Nun will er sich ganz langsam, sowohl für das Publikum als auch für seine Kinder möglichst unmerklich, immer mehr zurückziehen. „Die Kinder werden mehr und mehr Verantwortung übernehmen und sich nach und nach auch in Zahlen und Wirtschaftlichkeitsstudien einarbeiten, aber ich werde natürlich – sozusagen als Schutzengel – immer für sie da sein“, sagt er zu seinen Zukunftsplänen. Das sei ein bisschen so wie Fahrrad fahren zu lernen, ergänzt Adrian. „Der Vater hält das Fahrrad fest und läuft mit, während das Kind fährt. Irgendwann lässt er los, ohne dass das Kind es merkt – und dann kann es allein fahren.“
Beate Werthschulte