„Wir müssen uns dem Konkurrenzkampf stellen“
Auf die Frage, wie die ersten Wochen im…
Wieder einmal erweist sich Düsseldorf auf dem weiten Feld der Künste als Vorreiter. Vom 22. August 2021 bis zum 20. Februar 2022 richtet das NRW-Forum die weltweit erste AR Biennale aus. In einem digitalen Skulpturenpark um den Ehrenhof und im Hofgarten präsentieren 20 zeitgenössische Künstler und Künstlerinnen ihre Projekte zum Thema Augmented Reality.
Die Idee zu der prominenten Plattform der AR Biennale hatte Alain Bieber. Als künstlerischer Direktor des NRW-Forums ist er verantwortlich für das Ausstellungs-Programm. Die computergesteuerte Erweiterung der Realitätswahrnehmung – so die Definition von Augmented Reality – hält er für eine der spannendsten Darstellungsformen in der heutigen Kunst. „Sie hat eine längere Vorgeschichte in unserem Museum“, sagt er. „Wir waren auch unter den Ersten, die sich mit virtueller Realität auseinandersetzten. Die Entwicklung der neuen Technologien hatten wir immer im Blick.“ Jetzt sei die Zeit reif gewesen für ein großes und richtungweisendes Projekt, das Themenbereiche wie Natur, Körperlichkeit, Kommunikation und Nachhaltigkeit umfasst. Was macht Augmented Reality so interessant? „Der künstlerischen Fantasie sind so gut wie keine Grenzen mehr gesetzt. Goldfische schweben lassen? Kein Problem“, begeistert sich Alain Bieber. „Für den Nutzer wiederum ist es von Vorteil, nicht mehr komplett abgeschieden zu sein von der Welt. Es gibt eine Überlagerung nach draußen, jeder kann mit Tablet, Smartphone oder AR-Brille teilnehmen und sehen, was im digitalen Skulpturenpark um den Ehrenhof und im Hofgarten geschieht. Ein Format, das wunderbar funktioniert und uns auch in Pandemie-Zeiten sehr entgegenkommt.“ Niemand wolle, dass die Museen wieder geschlossen werden müssen. „Aber wenn es nötig sein sollte, bleibt unser Projekt trotzdem bestehen. Einmal erstellt, ist es ewig haltbar“, sagt Alain Bieber. „Auch die relativ lange Laufzeit bis zum Februar ist günstig. Damit hat der Nutzer die Gelegenheit, die umgebende Natur im Wandel der Jahreszeiten zu erleben.“
Augmented Reality befeuert nicht nur den künstlerischen Spieltrieb, sie bezieht ausdrücklich auch Interaktionen ein. Das machte sich die Compagnie der Deutschen Oper am Rhein zunutze. Ballettdirektor Demis Volpi fand sofort Gefallen an diesem Dialog zweier Welten. „Mir liegt sehr viel an der Vernetzung der Düsseldorfer Kulturinstitutionen“, betont er. „Der Austausch unter uns gelingt bisher erstaunlich unkompliziert und bar jeder Eitelkeiten.“ Die Sinnhaftigkeit der AR Biennale leuchtete ihm sofort ein. „Wir können uns damit in einem ganz neuen Umfeld präsentieren.“ Unter Leitung von Choreograf Brent Parolin entstanden in einer „Greenbox“ kleine Filme. Darin treten Tänzerinnen und Tänzer als Feen verkleidet auf. Die digitalen Vorlagen werden im Park verteilt und müssen via App aufgespürt werden. Gelingt es, fangen die Feen an zu tanzen. „Ein märchenhaftes Motiv zu nehmen, fanden wir sehr passend“, sagt Brent Parolin. „Die Verschmelzung von Kunst und Technik war dann auch nicht allzu schwer. Bei den Streamings während Corona haben wir gelernt, damit umzugehen.“ Lediglich die Limitierung auf einen kleinen Raum habe eine Herausforderung bedeutet. In dessen Grenzen aber konnten sich die Tänzer frei bewegen. „Ich trug dabei ein krasses Kostüm, alles blinkte“, berichtet Niklas Jendrics. „Dass ich als einzige männliche Fee mitwirken durfte, war total cool. Nach der langen Pause hatten wir alle einen extremen Hunger, wieder Kultur unter die Menschen zu bringen.“ Das Ballett in den Park zu verlegen, dorthin, wo sonst allenfalls Breakdance und Freestyle zu sehen sind, erhöhte den Reiz für den jungen Tänzer. Demis Volpi drückt es ähnlich aus: „Mein Traum wäre es, wenn man eines Tages durch die Stadt ginge, das Handy zückte und durch unsere Feen ins Opernhaus gelockt würde.“
Die Ballett-Compagnie ist als einziger Teilnehmer der AR Biennale direkt in Düsseldorf verankert. Andere Künstler haben zumindest einen engen Bezug zu der Stadt. Wie Louisa Clement aus Bonn, Meisterschülerin von Andreas Gursky, die sich selbst als AR-Klon vervielfältigte. Auch Giulia Bowinkel und Friedemann Banz schlossen ihr Studium an der Kunstakademie ab und beteiligten sich früher schon an einem Virtual-Reality-Projekt des NRW-Forums. „Wir haben seit vielen Jahren verschiedene Erfahrungen mit Augmentieren gemacht“, berichtet Friedemann Banz. „Dabei sind wir ins Programmieren reingerutscht. Uns interessierte, wie der Computer das Miteinander in der Gesellschaft transformiert.“ Künstliche Intelligenz sei in unserem Alltag überall präsent und habe eine enorme Komplexität erreicht, betont er. Das Künstler-Duo entwickelte kleine Förmchen, sogenannte „Primitives“. Ringe, Kugeln und Zylinder wurden mit einfachen Verhaltensregeln versehen. „Sie wuseln durch den realen Park und versinnbildlichen die Allgegenwart der Algorithmen“, erläutert Friedemann Banz.
Für seinen Beitrag zur AR Biennale nutzte Tim Berresheim die Nähe zum Kunstpalast, in dessen Besitz sich ein Gemälde des Norwegers Jorgen Doublog befindet. Dieses eignete sich der Aachener Künstler an und inszenierte mit digitalen Modellen einen Kunstraub. Als Diebin fügte er eine seiner „Aspettatori“ ein. „So nenne ich meine Platzhalter an der Schnittstelle zwischen analoger und digitaler Kunst“, erklärt Tim Berresheim. Schon 2014 fing er damit an, AR einzusetzen, zunächst nur als virtuellen Guide für seine eigenen Ausstellungen. „Inzwischen ist die technische Entwicklung so weit fortgeschritten und so überzeugend, dass ich computergenerierte Kunstfiguren entwickelt habe. Mit den qualitativ anspruchsvollen Möglichkeiten, Oberflächen mit Mustern, Farben und Texturen zu gestalten, kann ich sie als Skulpturen in den Raum stellen.“ Hier trägt seine Diebin das Gemälde auf ihrer Haut. „Hat man es damit gestohlen?“, fragt Tim Berresheim und liefert auch gleich die Antwort: „Ich glaube nicht. Es gibt keinen Verlust zu beklagen, das Werk ist ja noch da und findet auf diese Weise sogar eine neue Wertschätzung.“