Das kreative Rückgrat der Stadt
Düsseldorf ist eine Kunststadt. Das sieht man allerdings…
Was hat eine Bäckerei mit einem modernen Ladepark für E-Autos zu tun? Roland Schüren zeigt in Hilden, wie eins ins andere greift und Energiewende unternehmerisch gelebt werden kann. Schon jetzt gilt „Seed & Greet“ als Vorzeigeprojekt, obwohl es gerade erst Fahrt aufnimmt.
Im Hildener Gewerbegebiet direkt am Autobahnkreuz A3/A46 herrscht an diesem Samstag Hochbetrieb. Ein Pkw nach dem anderen befährt das mit modernen Holzkonstruktionen überdachte, „Seed & Greet“ genannte Gelände, doch Motorenlärm hört man nicht. Es sind alles Elektroautos, die die rund 40 Ladestationen ansteuern. Die Fahrer stehen beisammen, unterhalten sich und begutachten die Wagen. „Hier hat sich samstags ein richtiger Treffpunkt etabliert, eine Community“, sagt Roland Schüren, Geschäftsführer der Betreiberfirma Seed & Greet GmbH. Roland Schüren? Ja, genau, der Chef des im Raum Düsseldorf bekannten Unternehmens „Ihr Bäcker Schüren“. Dass ein Meister seines Fachs im Handwerk zum Vorreiter der erneuerbaren Energien wird, erschließt sich, wenn man mit dem weit vorausdenkenden Unternehmer spricht. Die Bäckerei Schüren beliefert ihre 19 Filialen, die neue Café-Bistro-Bäckerei auf dem Seed & Greet-Gelände sowie weitere Partner mit den handwerklich hergestellten Waren aus eigener Produktion. „Die Bäckerei ist das energieintensivste Handwerk“, sagt Schüren. Bäcker sind allerdings nicht wie energieintensive Industrieunternehmen von der Umlage des Erneuerbare-Energien-Gesetzes befreit, herkömmlicher Strom ist also teuer.
„Doch als Bäcker hat man viel selbst in der Hand“, sagt Schüren. So etablierte der Unternehmer bereits 2010 ein neues Energiekonzept. Backöfen werden mit Biomasse beheizt. In der Kühlanlage werden die Kompressoren wasser- statt luftgekühlt. Das Wasser wiederum wird über Erdwärmetau-scher-Rohre rückgekühlt. Der Energieverbrauch sank so auf 25 bis 30 Prozent vergleichbarer konventionell gebauter Kälteanlagen. Strom kommt zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen, davon ein großer Teil aus den eigenen Photovoltaikanlagen auf den Dächern von Backstube, Verwaltungsgebäude und Carport. Schüren dachte damit schon den nächsten Schritt mit: Der Lieferverkehr lässt sich doch auch auf erneuerbare Energien umstellen, wenn man schon die Infrastruktur aufbaut und mit Solarzellen tagsüber Strom erzeugt. Neun Lieferfahrzeuge laufen bereits elektrisch, die verbleibenden fünf erdgas-betriebenen werden auch noch ersetzt. Batterien speichern den Strom zudem für die Backstube, die vorwiegend nachts in Betrieb ist. „Die Bäckerei arbeitet CO2-frei. Das wird zu rund 95 Prozent aus eigener Kraft erreicht, nur etwa fünf Prozent müssen durch Ausgleichsmaßnahmen neutralisiert werden. Im Winter kaufen wir natürlich noch oft Ökostrom aus dem Netz dazu“, erklärt Schüren.
Nun greift im Unternehmen alles ineinander, und die in Fachkreisen Sektorenkopplung genannte Kombination funktioniert: Lebensmittelherstellung, Energie-Erzeugung und Mobilität sind nachhaltig miteinander verbunden. In diesem Konzept ist der Seed & Greet-Ladepark der nächste Baustein – als Auftakt für weitere Investitionen und für eine Ausweitung der modernen Mobilität übers eigene Unternehmen hinaus. Auf dem Gelände haben zwei Partner Kapazitäten aufgebaut. Der Autobauer Tesla hat 20 Super-Charger installiert, das Unternehmen Fastned acht Schnellladestationen. Beide werden erweitern. Tesla wird 20 weitere Stationen aufbauen und Fastned noch 14. Dazu kommen 16 Plätze für langsames Laden, die Schüren betreibt. Künftig werden es 36 sein.
Künftig – denn zwei weitere Bauabschnitte folgen, einer da-von soll noch in diesem Jahr fertig werden. Auf dem insgesamt gut 12.000 Quadratmeter großen Gewerbegrundstück baut Schüren zusammen mit ausgesuchten Investoren noch ein fünfstöckiges Gebäude mit Büros und einer Vertical Farm über vier Stockwerke. In dieser können beispielsweise Salate und Beeren wachsen, die direkt vor Ort zu kleinen Gerichten und zu frischen Kuchen weiterverarbeitet wer-den sollen. Neben Photovoltaikanlagen sollen auch zwei Klein-Windkraftanlagen entstehen. Die Mitarbeiter können dann tagsüber ihre E-Autos an den langsamen Stationen aufladen.
Rund 18 Millionen Euro investiert der Unternehmer insgesamt in das Projekt. Rentiert sich denn der Ladepark – abgesehen von der Energiegewinnung für das eigene Unter-nehmen? „In der Kombination, ja“, sagt Schüren, zumal auch die Bistro-Bäckerei auf dem Gelände Kunden anzieht. Die Kunden und Gäste kommen von überallher. Man sieht nord- und süddeutsche Kennzeichen ebenso wie die gelben niederländischen Schilder. Über Apps finden die Fahrer das Seed & Greet, das einmal der größte Schnellladepark Europas sein wird. Schon jetzt gilt er in Fachkreisen und in der Politik als Vorzeigeprojekt, das zeigt, wie man Energiewende machen kann.
Wie schafft man es, neben einem Bäckerei-Unternehmen ein solches zweites Standbein aufzubauen? „Wir sind ein gutes Team“, sagt Schüren. 250 Mitarbeiter beschäftigt das Unter-nehmen, zusätzlich rund zehn auf dem Seed & Greet-Gelände, das im Oktober 2020 eröffnete. „Das ist eine Wohlfühlgröße“, sagt der 55-Jährige, der zudem einen Prokuristen eingestellt hat. Denn Schüren blickt weiter in die Zukunft: „In der Entwicklung stecken enorme Potenziale.“ Vieles werde allerdings immer noch durch bürokratische Regularien gebremst – eine weitere Baustelle für Schüren, der deswegen in die Politik möchte. Er tritt als Direktkandidat der Grünen bei der Bundestagswahl an.
Seed & GreetDer Name soll laut Homepage ausdrücken, dass es „nicht nur um Lebensmittelherstellung durch Backen geht, sondern auch um Lebensmittelerzeugung durch Säen, Wachsen und Ernten: Seed. Und Greet steht für die Lade-Infrastruktur und die Bistro-Bäckerei, die die Gäste empfängt.