Der Kunstmarkt erfindet sich neu
Die Kunstszene spielt in Düsseldorf traditionell eine große Rolle, hier leben nicht nur viele wichtige Künstler und Galeristen, sondern auch zahlreiche Sammler. Wegen Corona wurden Messen und Auktionen verschoben oder ganz abgesagt. Nun ist Kreativität gefragt.

Der Stand von Mendes Wood DM, Proyectos Ultravioleta und Sies & Höke war 2019 auf der Art Düsseldorf mit den weißen Figuren von Naufus Ramírez-Figueroa ein besonderer Hingucker.
Während Kunstmessen wie die Art Cologne und die Art Düsseldorf auf 2021 verschoben werden und Museen wie Austellungshäuser verstärkt digitale Kunsterlebnisse forcieren, dürfen kommerzielle Galerien als Hybrid zwischen Verkaufs- und Kulturbetrieb öffnen. Etliche von ihnen melden trotz der Corona-Krise einen Boom, denn der lokale Handel ist begehrt. Auch Hans Paffrath gehört zu den Kunsthändlern, die ein größeres Kaufinteresse registrieren. „Ohne dass die Kunstliebhaber einen Fuß in meine Galerie setzen, läuft das Geschäft, und sogar besser als vergleichsweise 2019“, sagt der 61-Jährige, der vor 33 Jahren die 1867 gegründete Galerie in der fünften Generation übernommen hat. Nicht erst seit Ausbruch der Pandemie hat er das Unternehmen auch digital aufgestellt.
Anfangs gab es parallel zur Stammgalerie an der Königsallee eine Online-Plattform. Inzwischen – beschleunigt durch das Virus – boomt der Online-Verkauf von Kunst aus dem 19. Jahrhundert bis hin zu zeitgenössischen Werken, und das zu Preisen ab 2.000 Euro bis zu Summen in siebenstelliger Höhe. „Online bietet dem Käufer und uns einen Mehrwert. Wir verschicken deshalb unverbindlich und kostenfrei von Fehmarn im Norden bis Freising im Süden – und garantieren eine Lieferung innerhalb 24 Stunden“, erklärt Paffrath. Und wie viele Gemälde kommen zurück? „Bislang kein einziges“, erklärt der Experte.

zeigen, dass das Rheinland wieder an Attraktivität gewonnen hat“
– Felix Krämer, Direktor Kunstpalast
So wie Hans Paffrath gehen viele andere Galerien, Museen und Messen auch zusätzlich neue digitale Wege. Doch die meisten sind davon überzeugt, dass erst in Gesellschaft der Umgang mit Kunst schön und anregend ist: Weil die Lust auf ein Bild meist geweckt wird, wenn man es als Original vor sich sieht, den Künstler und Galeristen kennenlernt und mit anderen darüber ins Gespräch kommt. Genau deshalb plant Walter Gehlen, Geschäftsführer und Direktor der Kunstmesse Art Düsseldorf, die vierte analoge Edition seiner Präsentation zeitgenössischer Kunst (nach der Absage 2020) ins Frühjahr zu verlegen. Im April 2021 sollen sich – vorbehaltlich der weltweiten Entwicklung von Covid-19 – die Türen in der Alten Schmiedehalle auf dem Areal Böhler für Experten und Kunstinteressierte öffnen. Denn nach wie vor nimmt das Rheinland in der zeitgenössischen Kunstgeschichte einen bedeutenden Platz ein, und das seit Jahrzehnten. Weltstar-Künstler wie Gerhard Richter, Andreas Gursky, Sigmar Polke, Jörg Immendorff, Günther Uecker, Thomas Ruff, Katharina Fritsch, Thomas Schütte, Tony Cragg, Candida Höfer und Thomas Struth haben seit jeher an der Düsseldorfer Kunstakademie gelernt und gelehrt und den Ruf der Landeshauptstadt als Kunststadt geprägt. Die Strahlkraft der Akademie ist allgegenwärtig, sie gilt als der Sauerteig, in dem Kunst und damit auch der Handel gedeihen. Düsseldorf ist ebenfalls das Zuhause vieler Kunst-Mäzene, die auch international agieren. „Der Kunstmarkt ist stark, weil das Rheinland traditionell sehr kunstinteressiert ist.
Es leben in und um Düsseldorf nicht nur viele wichtige Künstler und Galeristen, sondern auch zahlreiche Sammler“, sagt Felix Krämer, Direktor des Kunstpalastes. Im Umkreis von 50 Kilometern gibt es die größte Museumsdichte Deutschlands, die Region gilt als ausgesprochen bilderfreundlich, die Wiege des Kunstbetriebs, wie wir ihn heute kennen, ist hier verortet. „Während nach dem Fall der Mauer Berlin einen ungeheuren Sog auf die Kunstszene ausübte, hat sich dies verändert. Die Gründung der Messe ‚Art Düsseldorf‘ ist nur ein Beispiel unter sehr vielen, die zeigen, dass das Rheinland wieder an Attraktivität gewonnen hat“, betont Krämer. So rangiert Düsseldorf weltweit auf der Liste der 15 bedeutendsten Kunstmärkte. Neben namhaften Auktionshäusern wie Dorotheum, Grisebach und Christie’s, die mit Sammlern und Händlern und nicht mit Künstlern arbeiten, spielen die weit über 100 hier ansässigen Galerien geschickt ihre Karten aus und verstehen sich als Foren der lebendigen örtlichen Kunstszene: Einen ihrer Schwerpunkte bildet die Präsentation und Vermittlung junger Künstler und Absolventen der Kunstakademie. Bundesweit und international genießen die Galerien ein hohes Ansehen – als Kulturträger der Stadt bieten sie ein umfangreiches Ausstellungsprogramm – von der Klassischen Moderne bis hin zu den verschiedensten zeitgenössischen Positionen.

– Hans Paffrath, Galerie Paffrath
Darüber hinaus haben nach Ansicht von Friederike Helle, IHK-Referentin für Dienstleistungen und Kreativwirtschaft, „die Galerien und Auktionshäuser in Düsseldorf einen Riesen-Mehrwert für das Image der Stadt, sind ein starker Magnet für den Tourismus, sie sind unsere kleinen Museen“. Verstärkt bündeln Galerien und Auktionshäuser ihre Kräfte, haben Kompensationseffekte im heiß umkämpften Kunstmarkt ausgemacht, treten seit zwölf Jahren bei der „DC Open“, dem „rheinischen Kunstmarathon“ zusammen auf: Die gemeinsamen Galerieeröffnungen sind mittlerweile gute Tradition. Sie waren auch im Corona-Jahr ein Lichtblick. Diesmal ohne große Party und Empfang mit einem Glas Wein in der Hand – haben mehr als 50 Galeristen wie immer zum Saison-Auftakt am ersten September-Wochenende während der DC Open 2020 drei Tage lang die Kunst gefeiert, gemeinsam zu ihren Eröffnungen eingeladen.
Überall war Aufatmen und Erleichterung darüber zu spüren, dass sich nach der ersten Corona-Pause und der Absage aller internationalen Kunstmessen endlich wieder was bewegt und man ein hochkarätiges Programm zeigen konnte. „Ich bin so froh, dass wir nach dem halben Jahr quasi ohne Geschäft eine Signalwirkung für die Kunstszene entfachen und unser Ausstellungshighlight des Jahres zeigen konnten. Hauptsache, es geht weiter, wenn auch unter Corona-Bedingungen“, sagt Galerist Michael Cosar. Voller Zuversicht richtet auch Daniela Steinfeld, Inhaberin der Galerie Van Horn in Flingern, den Blick nach vorn und kann der Entschleunigung durchaus viel Positives abgewinnen: „Diese DC Open war für mich eine der erfolgreichsten der letzten Jahre. Die Besucher sind wegen der Kunst gekommen und nicht wegen Socialising und dem gemeinsamen Dinner der rheinischen Kunstszene. Weil es weniger Ablenkung gab, wurde sich mehr und konzentrierter als sonst mit der Kunst auseinandergesetzt.“
„Die Menschen haben sich nach der Corona-Flaute geradezu nach Kunst gesehnt“, berichtet Meike Denker, die die Galerie „Kunst & Denker Contemporary“ betreibt. „Insgesamt war die Stimmung ausgezeichnet und die Qualität der Ausstellungen hervorragend, die Besucher konnten konzentriert in unterschiedliche künstlerische Welten eintauchen“, bilanziert Organisatorin Ljlijana Radlovic. Die DC Open hat sich demnach auch unter verschärften Bedingungen als attraktiv im starken Heimatmarkt mit einem finanzkräftigen, sammelnden Bürgertum behauptet, und sie wird vor allem auch überregional wahrgenommen – so das einhellige Urteil von Galeristen und Künstlern.

– Walter M. Gehlen, Geschäftsführer der Art-Düsseldorf
Dennoch: Der Kunstmarkt ist lokal, regional und bundesweit im Branchenvergleich ein kleines Licht. 463 Milliarden Euro wurden allein in der Automobilbranche in Deutschland im Jahr 2019 umgesetzt, 2,2 Milliarden Euro waren es laut den offiziellen Angaben des Bundesministeriums für Wirtschaft im Kunsthandel. Während – so die Wirtschaftsförderung Düsseldorf – der Kunstmarkt über alle Indikatoren hinweg immer zu den kleinsten Teilmärkten der Kultur- und Kreativwirtschaft zählt, bedeutet er für viele das Salz in der Suppe. „Wir Galeristen schaffen einen Mehrwert, fördern das Image der Stadt und schaffen kulturelle Werte“, sagt Daniela Steinfeld. Sie versteht sich als Unternehmerin im klassischen Wortsinn und beschäftigt sich mit den unterschiedlichsten Bereichen in der Kunst. „Dieser meist unterschätzte Beruf bietet ein Füllhorn an Möglichkeiten, hier läuft alles zusammen, was in der Kunst machbar ist: Ausstellungen arrangieren, Konzepte schreiben, Kunst vermitteln und verkaufen, Künstler entdecken, sie fördern.“
Auch wenn sich Geschäftsmodelle durch die Digitalisierung wandeln, der Kunstmarkt zunehmend Onlinepräsenz zeigt und inzwischen mehr als zehn Prozent aller Kunstverkäufe online abgewickelt werden – nachdem der erste Kontakt meist jedoch im echten Raum der Messen oder Galerien stattgefunden hat – sind Cosar und Steinfeld davon überzeugt: „Die Rolle der Galerien bleibt zentral wichtig. Nicht als Verkaufsort, vielmehr, um Kunst zu zeigen, Künstlern eine Plattform zu bieten, und das bei freiem Eintritt für Kunst-Kenner, -Einsteiger und jedermann.“ Walter Gehlen rechnet nach dem Cut in 2020 mit einem Strukturwandel im Kunstmessen-Markt. Er und sein Team entwickeln derzeit verschiedene Szenarien, und er kann sich in Zukunft durchaus Hybrid-Veranstaltungen von Online- und Präsenz-Messen vorstellen. Denn die Kunstvermittlung sei ein personenabhängiges Business und „die persönliche Interaktion ist zentral wichtig, ansonsten haben junge Künstler keine Chance, sichtbar zu sein.“
In Düsseldorf hat sich inzwischen ein weitgehend friedliches Kooperationsklima zwischen Topmuseen, Kulturinstituten und Galerien entwickelt: So wollen die namhaften Galerien im Stadtteil Flingern auch künftig konzentriert mit gemeinsamen Vernissagen auftreten. „Durch diese Clusterbildung gelingt es, viel mehr Besucher zu mobilisieren“, erklärt Cosar. Auf die Frage, wie wichtig die Verknüpfung von Kunstmarkt und öffentlicher Kunstszene (Museen und Ausstellungen) ist, betont Petra Schäpers, Repräsentantin des Wiener „Dorotheums“, dass „ein lebendiger Kunstmarkt natürlich die Ausstellungen und die Museen braucht. Sie bedingen sich wechselseitig und ergeben ein spannungsreiches Miteinander.“ Auch Felix Krämer bezieht klare Position: „Künstler, Markt und Museen sitzen alle im selben Boot. Ich finde es wichtig, dass wir stärker auf die Gemeinsamkeiten schauen. Letztlich wollen wir alle unser Publikum für die Kunst begeistern – das verbindet.“