Das kreative Rückgrat der Stadt
Düsseldorf ist eine Kunststadt. Das sieht man allerdings…
Designer Steffen Schraut steuert seit über zwei Jahrzehnten sein Modeunternehmen erfolgreich durch alle Klippen. Er sieht in jeder Krise auch eine Chance.
Das Karussell der Mode, das sich in den letzten Jahren immer rasanter drehte, wurde wie viele andere Lebensbereiche durch Corona ausgebremst. Keine Messen. Showrooms, Boutiquen und Department Stores geschlossen. Und auch nach deren Wiedereröffnung zunächst noch eine deutlich eingeschränkte Kauflust. Was jedoch im Umkehrschluss ganz und gar nicht bedeutet, dass ein Designer wie Steffen Schraut in der Zeit des Stillstands die Hände in den Schoß legte. „Wir arbeiten in einem Metier, das von der Faszination lebt“, sagt er. „Mode wird es immer geben. Deshalb kam es darauf an, trotz aller Belastungen und Herausforderungen, die Chance in der Krise zu erkennen.“ Während in der Modebranche viele Projekte gestoppt oder vertagt wurden, blieben die Partner von Steffen Schraut nicht untätig. Gemeinsam mit dem Düsseldorfer Designer machte sich die Ka-DeWe-Group – das Stammhaus in Berlin, Oberpollinger in München und das Alsterhaus in Hamburg – daran, in den vorübergehend kundenlosen Kaufhäusern neue Shop-in-Shop-Systeme zu installieren. Die Handwerker arbeiteten ja weiter. „Wir gehörten bei der Neueröffnung zu den ersten sieben Partnern“, berichtet Steffen Schraut. „Das war uns wichtig als Signal, dass es ein Licht am Horizont gibt.“ Daneben wurden dem Designer neue Flächen bei Breuninger in Düsseldorf und Stuttgart angeboten, frei geworden durch die Verdrängung im Markt, die auch hochkarätige Modefirmen wie Escada oder Strenesse nicht verschonte. Warum man sich für ihn entschied? „Die Department Stores der Zukunft setzen auf starke Marken mit Strahlkraft und einer eigenen Aussage“, antwortet er. „Marken, die für etwas stehen. Sicher spielten auch unsere Performance und zuverlässige Lieferung eine Rolle.“
Seit über zwei Jahrzehnten steuert er sein Modeunternehmen erfolgreich durch alle Klippen. Leichter sei das Business nicht geworden, sagt er. „Die gesamte Branche hat sich enorm verändert. Wichtiger werden auch Themen wie Nachhaltigkeit und bewussteres Einkaufen von Kleidung. Die Digitalisierung brachte einen riesigen Informationsfluss mit sich. Früher orientierte man sich ausschließlich an Wochenoder Monatsmagazinen. Heute kommen die Trends auch vorher übers Internet ins Haus, die meisten Bilder sind dann schon bekannt. Alles ist viel schnelllebiger geworden.“ Umso gewichtiger ist da die Frage: Wie erreicht man Beständigkeit in einem derart sensiblen und kurzlebigen Business? „Das ist gar nicht so schwer“, versichert Steffen Schraut. „Entscheidend ist, dass man sich auf seine Stärken konzentriert und sie gegenüber Kunden, Mitbewerbern und Agenturen hervorhebt. Das wurde lange eher beiläufig erwähnt. Heute sollte man sich ruhig damit positionieren.“ Dazu gehört allerdings auch das Vertrauen in die eigene, nie versiegende Kreativität. Oft hat der Designer betont, Reisen seien seine wichtigste Inspirationsquelle. Anregungen aus aller Welt flossen in seine Entwürfe ein. Touren um den Globus und in die Modemetropolen Paris, Mailand und New York waren 2020 nicht möglich. Wie vermochte er dennoch Strömungen aufzuspüren? „Persönliche Eindrücke, wie ich sie im Ausland immer gern gesammelt habe, wurden während Corona durch die sozialen Medien ersetzt“, sagt Steffen Schraut. „Mit ihrer unglaublichen Schnelligkeit, ihrer Internationalität und Bilderflut sind sie inzwischen zum Hauptkanal meiner Inspiration geworden.“
Wie viel Bedeutung misst er Influencern bei? „Eine große. Anfangs waren Influencer noch ein schwer einzuschätzendes Phänomen. Seit geraumer Zeit aber sind sie ein fester Bestandteil der Modeszene. Durch Blogerinnen entstehen spannende Looks.“ Wie die meisten Designer schöpft auch Steffen Schraut aus diesem kreativen Mix, sei es beim Styling oder bei interessanten Farbkombinationen. „Eine Einschränkung muss ich aber machen“, fügt er hinzu. „Ich bin ein extrem haptischer Mensch, einer der letzten, die noch einen Terminkalender aus Papier haben. Das rein Virtuelle reicht mir nicht. Ich blättere einfach gern in Magazinen und muss die Qualitäten der Stoffe spüren. Darauf möchte ich nicht verzichten.“ Welche Kundin hat er im Visier, wenn er seine Modelle entwirft? „Wohl jeder Designer hat dazu eine Wunschvorstellung, ich auch“, sagt Steffen Schraut. „Bei mir sind es Mutter und Tochter. Meine Mode ist generationsübergreifend und dadurch facettenreich. Gemacht für selbstbewusste Frauen, die sich keinem Diktat unterwerfen, sondern ihren eigenen Stil pflegen.“ So wie seine prominenten Markenbotschafterinnen, allen voran die TV-Moderatorinnen Frauke Ludowig und Nazan Eckes. „Moderne Frauen mit einem guten Look“, beschreibt er. „Trotzdem stehen sie mit beiden Beinen im Leben, sind berufstätig, haben Kinder, kaufen im Supermarkt ein. Beide zeigen sich auch ohne Make-up und sind dadurch greifbar. Keine makellosen Schönheiten, an die eine normale Frau nie herankommt. Von daher sind sie Leitbilder.“
Tragen seine „Aushängeschilder“ im Fernsehen ein Modell von Steffen Schraut, was gewöhnlich im Abspann eingeblendet wird, steigen die Verkaufszahlen – je auffälliger die Kleidung, desto höher. Einige seiner Kollegen haben ihren Aktionskreis erweitert und machen Mode auch für Männer. Steffen Schraut reiht sich da nicht ein. „Wegen der Vielfalt an Produkten ziehe ich lieber Frauen an“, kommentiert er. „Meine Mode trifft ihre Aussage über Farben, Drucke, Schnitte. Dafür sind mir die Möglichkeiten bei einer Herrenkollektion zu begrenzt.“ Mit großer Leidenschaft widmet er sich den beiden anderen Linien seines Unternehmens, den Schuhen und den Taschen. Hier arbeitet der Designer mit Lizenzpartnern aus dem Premium-Segment zusammen. „Damit ist es uns gelungen, unsere Kernkompetenz noch einmal zu unterstreichen“, sagt er. Sind weitere Ausflüge geplant? „Wer weiß? Es bleibt spannend, sicher wird es auch in Zukunft neue, überraschende Projekte geben.“
Momentan ist Steffen Schraut mit der Konzeption der Wintermode 2021 beschäftigt. „Erst werden Prototypen erstellt, dann organisieren wir ein Fitting und produzieren die finalen Musterteile. Im Januar präsentieren wir unseren Kunden die Kollektion“, erklärt er die Abfolge. Auch bei diesem sich stets wiederholenden Rhythmus ist der Terminplan jetzt enger getaktet. „Corona hat ihn beschleunigt. Die Einkäufer können teilweise nicht mehr reisen wie zuvor. Wir müssen die komplette Kollektion in digitalen Lookbooks abbilden, ein zusätzlicher Aufwand.“ Bei jedem Modell achtet der Designer darauf, dass es den von ihm geforderten „Bügelsex“ aufweist. Klingt lustig. Das aufzuschlüsseln, fällt ihm leicht: „Das Teil auf dem Bügel muss den Effekt eines Kaufanreizes haben. Spricht das Kleidungsstückmit mir? Ob Boutique, Onlineshop oder Department Store, jede Kundin nimmt zuallererst die Optik wahr, noch bevor sie auf das Preisschild und das Label schaut. Der Bügel soll der heimliche Verführer sein.“
Seit Kindesbeinen ist Steffen Schraut, Sohn eines schwäbischen Bankdirektors, in der Modewelt zu Hause. Seine Mutter führte mit ihrem Bruder das Familienunternehmen, das Blusen herstellte. „Ich bin zwischen Stoffballen aufgewachsen und habe mit ihnen gespielt, das war fantastisch“, schwärmt er noch heute. „Wir hatten eine Näherei, eine Zuschneiderei, einen Versand. Mir war sehr früh klar, dass dies auch meine Welt sein würde.“ Dennoch beugte er sich dem Wunsch des Vaters und machte zunächst eine Banklehre. „Eine harte Zeit“, sagt er im Rückblick. „Aber auch die wichtigste Basis für mein heutiges Unternehmen.“ Der Familienbetrieb wurde später verkauft, Steffen Schraut zog der Liebe wegen nach Düsseldorf. Nach dem Einstieg bei der Modefirma Hirsch kam bei Peek & Cloppenburg eine spannende Aufgabe auf ihn zu. Als Trendscout reiste er fünf Jahre durch die Welt, fotografierte Schaufenster mit Weihnachts-, Oster- und Halloween-Dekorationen, inspizierte Ladeneinrichtungen, kaufte Musterteile ein. Es war Albert Eickhoff, der ihn schließlich dazu ermutigte, seine eigene Kollektion zu entwerfen. Und die ersten Modelle auch mit anderen „Platzhirschen“ der damaligen Zeit verkaufte. Der renommierte Industrie-Designer Peter Schmidt überredete Steffen Schraut gegen alle anfängliche Skepsis dazu, seinem Label den eigenen Namen zu geben. Auch diese Entscheidung war goldrichtig. Was außer Mode hat noch Raum in seinem Leben? „Familie und Freunde“, sagt er sofort. „Durch Corona haben diese engen Bande noch einmal einen anderen Stellenwert bekommen. In gewissen Punkten möchte ich nicht mehr zurück. Die Entschleunigung tat mir gut. Ich hatte mehr Steffen-Zeit mit mir selber und bin mir wichtiger geworden.“