Das kreative Rückgrat der Stadt
Düsseldorf ist eine Kunststadt. Das sieht man allerdings…
Er ist einer der wenigen deutschen Architekten, die weltweit gefragt sind. Christoph Ingenhoven hat mit seinen Bauwerken wie etwa dem „Ingenhoven-Tal“ nicht nur das Gesicht der Stadt Düsseldorf geprägt. Aktuell entwickelt und konstruiert er Großprojekte in Melbourne, Sydney, Tokio, München und Hamburg. Dabei liegt der Fokus nicht allein auf visionären Entwürfen. Er macht sich auch viele Gedankenüber die Gestaltung einer menschenfreundlichen Stadt.
Die gigantische Baustelle um das Schauspielhaus und den Kö-Bogen II hat sich bis auf wenige Reste gelichtet. Interessiert verfolgen Passanten seit Jahren den kühn aufstrebenden Gebäudekomplex und seine flächendeckende Bepflanzung mit Hainbuchenhecken. Nun ist er fertig und zeigt sein endgültiges Gesicht. Zusammen mit dem umgestalteten Gustaf-Gründgens-Platz hat der Architekt Christoph Ingenhoven ein Ensemble geformt, das diesen Teil der Innenstadt nachhaltig verändert. Welchen Einfluss auf seinen Entwurf hatten das benachbarte Drei-Scheiben-Haus und der markante Theaterbau, den er sorgfältig saniert hat? „Ikone mag ein abgedroschener Begriff sein“, antwortet er. „Aber das Schauspielhaus ist zweifellos eine Ikone. Damit meine ich nicht nur die Architektur. Ich denke auch an seine Bedeutung für die rheinische Kulturszene, an die Künstler und Intendanten, die hier gewirkt haben.“ Schon deswegen habe er Rücksicht walten lassen. Auch das Drei-Scheiben-Haus schätzt er sehr: „Die zwei Gebäude spiegeln die beiden Pole, die in unserer Arbeit gleichfalls stecken. Einmal die klassische Architektur mit ihrer euklidischen Geometrie, zum anderen das Experimentelle und Amorphe mit weichen, organischen Formen. Damit liegen zwei der edelsten Beispiele, die es in dieser Republik gibt, dicht beieinander.“ Mit diesen Solitären in Konkurrenz zu treten, sei ihm nicht in den Sinn gekommen, beteuert Christoph Ingenhoven. „Wir mussten ein anderes Rennen laufen. Es nicht noch eleganter machen, noch weißer, noch silberner, noch transparenter.“ Es ist ihm gelungen, in Harmonie mit den vorhandenen einen dritten Solitär zu erschaffen.
Der Kö-Bogen II trägt seinen Namen: Ingenhoven-Tal. Macht ihn das stolz? „Stolz ist nicht so mein Gefühl“, korrigiert er. „Ich freue mich, wenn etwas gelingt und so wird, wie ich es mir erhofft habe. Das, glaube ich, kann man hier sehen. Auch im Foyer des Schauspielhauses, das jetzt mindestens so schön ist wie vorher, erlebe ich Momente, in denen ich glücklich bin. Gute Häuser, die in die Jahre gekommen sind, haben gute Fürsprecher verdient.“ Ein klein wenig Genugtuung schwingt jedoch mit, wenn er auf den gescheiterten Wettbewerb zu einer neuen Namensfindung hinweist. Und auf eine Entdeckung: „Google Maps zeigt uns das ‚Ingenhoven-Tal’, das finde ich cool.“ Mit zwei Büros in Düsseldorf und Singapur und einem Team von 120 Mitarbeitern, darunter etwa 100 Architekten, ist Christoph Ingenhoven weltweit im Einsatz. Derzeit entwickelt und baut er Großprojekte in Melbourne und Sydney, in Tokio, in München, in der Hamburger Hafencity und nach Marina One mit der Harbour Front ein weiteres in Singapur. Ständiges Reisen rund um den Globus gehörte zu seinem Alltag. Bis Corona kam. „Was damit verbunden war, hat mein Lebensmodell ein wenig zerstört“, erzählt er. „Ich war zuvor im Dauermodus des Fliegens, die vielen Fernreisen sind momentan vorbei.“ Was nicht durchweg zu bedauern sei. „Der große Vorteil der Krise war, dass alle meine fünf Kinder mit Partnern und Enkeln einige Monate bei mir verbrachten. Es tat mir gut, einmal zur Ruhe zu kommen, ein bisschen bescheidener zu werden und nicht dauernd an den nächsten Flug zu denken.“ Wohl aber ist es in seinem Beruf kaum möglich, wesentliche Präsentationen zu delegieren. Sie verlangen seine Anwesenheit. Zwar habe er im Frühjahr die Planung eines Hochhauses in Melbourne rein über Videokonferenzen gesteuert. „Das ging beeindruckend schnell vonstatten“, berichtet Christoph Ingenhoven. „Von den Australiern könnten wir hier noch etwas lernen. Die wussten um die Notwendigkeit, den Prozess aus wirtschaftlichen Gründen zu beschleunigen, und haben Bebauungsplan und Genehmigungsplan einfach kombiniert. Damit war es möglich, über zwei Jahre einzusparen.“
Bei einer neuen gewichtigen Präsentation sei das anders: „Da ist der persönliche Kontakt nicht zu ersetzen, das muss ich selber machen. Man sollte sich gegenseitig kennenlernen. Das macht
mir auch Spaß, man trifft interessante Leute. Bei solchen Projekten entstehen ja auch Freundschaften.“ Gute Beziehungen sind ihm wichtig, das beginnt schon bei der Wahl seiner Vorhaben. „Aus vielen Ausschreibungen sucht man aus, was passen könnte. Will ein Bauherr mit uns glücklich werden, muss er reif sein für die Ansprüche, die wir hoffentlich mit ihm teilen. Geht es
nur um Geld und nicht auch um Kultur und Verständnis, kann ich ein Projekt nicht annehmen. Gegenseitiger Respekt gehört dazu.“ Er pflege einen kritischen Umgang mit seinem Beruf, sagt
der Architekt. „Ich will, dass es richtig gut wird. Mit schwierigen Leuten komme ich klar, sofern sie mitdenken und verstehen, was wir tun.“ Er lacht. „Ich kann manchmal auch etwas anstrengend sein.“ Er trage in seinem Beruf eine große Verantwortung. „Wir entkommen der Architektur nicht, sie prägt Tag und Nacht unser Leben. Seit die Menschen keine Felle mehr tragen, sind wir davon abhängig, dass uns die Architektur bei der Erhaltung unserer Körperwärme hilft. Ob wir Architekten dieser Verantwortung immer gerecht werden, bezweifle ich.“
Das gelte auch für den Umgang mit Ressourcen. „Das Bauen und Betreiben von Häusern verbraucht 50 Prozent von Ressourcen und Energie und produziert die Hälfte des Abfalls“, listet Christoph Ingenhoven auf. Mit seinem „Supergreen-Konzept“, das auf Nachhaltigkeit und Einsparung basiert, steuert er dagegen. „Jeder, der in diesem Bereich tätig ist, muss das Bestmögliche für die Umwelt tun“, fordert er. „Dass die Vermittlung bei den Bauherren schwierig ist, kann ich nicht bestätigen. Die meisten verstehen das, wenn man es ihnen vernünftig erklärt.“
Manche seiner Projekte ziehen sich über Jahrzehnte hin. In dieser Zeit ändern sich oft auch Bewusstsein und Blickwinkel. Das bisher längste ist „Stuttgart 21“. Den Wettbewerb hat Christoph Ingenhoven 1997 gewonnen, seit 23 Jahren beschäftigt ihn die anfangs heftig umstrittene Umgestaltung des Stuttgarter Hauptbahnhofs. „Allein wegen der Dauer ist das unser wichtigstes Projekt“, bestätigt er. „Dennoch hat meine grundsätzliche Idee bis heute Bestand. Ein Kopfbahnhof gehört nicht in die Innenstadt. Der Bau wird sich noch hinziehen, aber man kann schon
sehen, dass das Ergebnis ziemlich interessant wird.“
Als Architekt brauche man eben einen langen Atem. Daran ist er gewöhnt. „Auch beim Kö-Bogen vergingen Jahrzehnte von der Planung bis zur Umsetzung“, sagt er und erzählt dessen Geschichte. 1993 präsentierte Ingenhoven erste Ideen dem damaligen Oberstadtdirektor Bickenbach, 2004 dann auf der MIPIM zusammen mit OB Erwin das fertige Konzept. Realisiert wurde zunächst einmal ein erster Teil, der sogenannte Kö-Bogen I (Architekt Liebeskind, Investor Zech). Dann gab es 2014 die Chance, den städtebaulichen Plan für den Kö-Bogen II nochmals zu überdenken. Zwischenzeitlich hatte der Abriss des Tausendfüßlers die Möglichkeiten einer weitergehenden Neuordnung der Blickbeziehungen offenbart. Ingenhoven gewinnt den zwischen drei Architekten ausgelobten Wettbewerb und hat nun die Möglichkeit, seinen Plan zu vollenden – nach 27 Jahren! Er schlägt einen begrünten, pyramidalen Bau vor, dessen Raumkanten die gesamten Beziehungen der Solitäre in diesem Bereich neu ordnen und sinnfällig machen. Erst später formte sich die Entscheidung für eine Bepflanzung mit Hainbuchen heraus. „Die Begrünung auf dem Dach und an zwei Fassaden soll die Anbindung an den Hofgarten verstärken“, erklärt er. „Wir hatten bestimmt 20 verschiedene Pflanzen in Erwägung gezogen.
Ich wollte Laub, kein Immergrün. Und auch keine kahle Situation über Monate. Die Hainbuchen sind eine gute Wahl, schon wegen ihrer außerordentlichen Resistenz gegen Wind und Wetter.“ Mit der Gestaltung des Gustaf-Gründgens-Platzes ist er zufrieden. „Ich hatte mir seine Konturen genau angeschaut. Neben allen anderen Problemen wie Verkehrslärm und Unzugänglichkeit war er schlicht zu groß. Wir haben ihn etwas verkleinert, das steht ihm gut. Es war auch richtig, das Gebäude schräg zum Platz zu stellen, dadurch entstand eine sinnvolle Perspektive zur Schadowstraße hin.“ Christoph Ingenhoven macht sich viele Gedanken über die Gestaltung einer menschenfreundlichen Stadt. Seine Überzeugung: „Wir werden künftig noch viel mehr in Städten leben. Der Drang ist ungebrochen. Die Stadt ist attraktiv, weil sie die Chancen auf soziale Kontakte und beruflichen Aufstieg vergrößert. Das erkennen die Menschen überall auf der Welt, das Ferienhaus auf dem Land dient hier nicht als Gegenbeweis.“ In dicht bebauten Städten miteinander klarzukommen, sei die größte kulturelle Leistung. „Hier entscheidet sich unsere Zukunft. Nicht von ungefähr ist die Demokratie in den Städten erfunden worden. Sie sind wichtig, wertvoll, aber auch fragil“, räumt er ein. „Plant man falsch, wird es gefährlich.“ Die Mischung von Arbeit, Freizeit, Ausbildung und Wohnen müsse ausgewogen sein, postuliert Christoph Ingenhoven und geht noch weiter. „Wir brauchen eine fahrrad- und fußgängerfreundliche Stadt.
Mit öffentlichen Räumen, die nicht kommerzialisiert sind, ohne Konsumzwang.“ Auf Düsseldorf bezogen bedeutet das: „Das Rheinufer ist das Rheinufer und keine Partyzone. Und was soll eine DTM-Meisterschaft auf der Kö? Lasst diese Bereiche den Bürgern, respektiert sie und verknüpft sie.“ Mit der richtigen städtebaulichen Grundlage bekäme Düsseldorf sehr viel mehr Lebensqualität und vertrüge dann sogar noch mehr Einwohner, glaubt der Architekt. Er habe dazu einige Ideen beizutragen. Ingenhoven spricht von der Verbesserung von Sichtachsen, etwa an der Berliner Allee und an der Immermannstraße. Er gehört auch zu den Befürwortern einer behutsamen Bebauung der Tuchtinsel, für die er einen Entwurf eingereicht hat. „Ich kann die Stadt nur ermutigen, langfristig zu denken“, betont er. Pause. „Und dabei vielleicht den Urheber solcher Ideen nicht ganz zu vergessen.“