Wandern erfreut sich zu Corona-Zeiten großer Beliebtheit. Es mussten sogar schon Wege wegen Überfüllung geschlossen werden. Ein Gespräch mit dem Leiter des Deutschen Wandermonitors Prof. Heinz-Dieter Quack über Erwartungen, den deutschen Durchschnittswanderer und den richtigen Flow beim Gehen.
Beim Wandern denken viele an Berge und Wälder. Doch manchmal gibt auch ein Fluss die Richtung vor. Viele ausgewiesene Wanderwege sind nah am Wasser gebaut.
Top Magazin: Ist Corona eher Segen oder Fluch für die Wanderszene?
Prof. Heinz-Dieter Quack (lacht): Naja, zunächst einmal ist das Virus ein Fluch für die gesamte Gesellschaft. Was wir aber in den vergangenen Wochen und Monaten festgestellt haben, ist, dass es eine sehr hohe Nachfrage nach Wanderwegen gibt. Teilweise mussten Wege sogar wegen Überfüllung gesperrt werden, weil die Abstandregeln nicht mehr eingehalten werden konnten.
Wo war das?
Bei einigen Premiumwegen im Voralpenland, aber auch in Mittelgebirgen. Das Wandern ist nun mal eine der wenigen Möglichkeiten, die uns geblieben sind, der häuslichen Quarantäne zu entgehen, sodass wir – ich muss ehrlicherweise sagen: leider – zurzeit aus der Not heraus einen kleinen Boom beim Wandern erleben. Von dem wir als Wandertouristiker aber hoffen, dass sich die Menschen auch in der Nach-Corona-Zeit daran erinnern werden, wie angenehm Wandern sein kann.
Bitte definieren Sie Wandern.
Wandern ist Gehen zu Fuß. Das ist vom Bewegungsablauf nicht unwichtig, weil Sie keine Flugphase haben wie beim Laufen. Ansonsten ist Wandern das, was der Mensch behauptet, dass es ist. Der Unterschied zum Spazierengehen ist nicht so sehr die Länge, sondern die mentale Vorbereitung. Früher war in der Szene definiert, dass alles bis drei Stunden Spaziergehen, alles darüber Wandern sei. Heute sagen wir, ein Spaziergang kann etwas Spontanes sein. Es ist auf jeden Fall etwas, mit dem ich keine besonderen Erwartungen verknüpfe. Eine Wanderung hingegen muss nicht länger als drei Stunden dauern, aber man denkt vorher darüber nach: Wo möchte ich wandern, was nehme ich an Verpflegung mit, welche Ausrüstung benötige ich?
Was nehmen Sie mit?
Ausreichend Wasser.
Und das Handy?
Habe ich dabei, ist aber lautlos gestellt.
Wann haben Sie das Wandern für sich entdeckt?
Wie so viele bin auch ich in meiner Kindheit und Jugend als Wanderer sozialisiert worden. Damals war das allerdings mit einer eingeschränkten Freiwilligkeit meinerseits verbunden.
Das heißt?
Ich bin in einem sehr liberalen Haushalt aufgewachsen: Sonntagmorgens durften wir Kinder uns eine von drei möglichen Wanderrouten aussuchen (lacht). Dass wir bei gutem Wetter wandern gehen, wurde nicht diskutiert. Nachdem ich ausgezogen war, habe ich das Wandern erst mal eingestellt, später aber wieder damit angefangen.
Gab es einen besonderen Anlass?
Nee, aber als ich freiwillig wieder damit angefangen hatte, habe ich mich gefragt, warum ich das eigentlich tue. Und warum das so viele andere tun. Wir leben ja in einer Zeit, in der wir eine solche gesellschaftliche Mobilität besitzen, dass wir auf das Gehen zu Fuß kaum noch angewiesen sind.
Welche Antworten haben Sie gefunden?
Alle Untersuchungen zeigen, dass es für die Menschen drei wesentliche Wandermotive gibt, auch die Reihenfolge ist immer dieselbe: Wanderer wollen sich erholen, die Natur genießen und etwas für ihre Gesundheit tun. Das Gehen hat ja im Gegensatz beispielsweise zum Laufen den Vorteil, dass ich mit einer vergleichsweise moderaten körperlichen Anspannung eine relativ hohe Entspannung erzielen kann. Mir ist keine andere Outdoor-Beschäftigung bekannt, bei der ich mich so wenig auf die eigentliche Bewegung konzentrieren muss. Dadurch habe ich den Kopf frei, um über andere Dinge nachzudenken. Für mich ist das der entscheidende Unterschied zu allen anderen Draußen-Bewegungsarten.
Nun galt Wandern ja lange Zeit als eher spießiges Hobby im Alter. Wie würden Sie sein Image heute beschreiben?
In den vergangenen zehn, 15 Jahren hat sich diesbezüglich sehr viel getan, obwohl wir immer noch Belege dafür finden, dass es vor allem ältere Menschen seien, die – so will es das Klischee – mit der Mundorgel unterm Arm in größeren Gruppen durch den Wald ziehen. Natürlich gibt es heute auch noch Wandergruppen und organisierte Vereine, aber man kann schon von einem Systemwechsel sprechen. Die durchschnittliche Gruppengröße liegt bei zwei Personen. In der Summe wandern auch deutlich mehr jüngere Menschen als noch vor 15 Jahren, wobei ich mit jünger nicht unbedingt die 19-Jährigen meine. Aber insbesondere bei den 30-, 40-Jährigen stellen wir einen deutlichen Zuwachs fest. Auch wird heute anders gewandert: Man geht zum Beispiel nicht mehr so weit. Heißt, der sportliche Aspekt, eine bestimmte Kilometerleistung oder Wanderdauer zu erbringen, ist nicht das zentrale Motiv. Das zentrale Motiv ist, Zeit draußen in der Natur zu verbringen, Zeit für sich oder den Wanderpartner zu haben.
Prof. Heinz-Dieter Quack
Können Sie sich erklären, was zu dem Wandel geführt hat?
Einerseits ist das touristische Angebot mit den Jahren immer besser geworden. Es gibt die großen Wanderwegprüfsiegel vom Deutschen Wanderverband und vom Deutschen Wanderinstitut, die die Erwartungen von Wanderern deutlich besser abbilden, als das in der Vergangenheit möglich war. Zu den zertifizierten Wegen gehören insbesondere schmale, pfadige, naturbelassene Wege, auf denen ich als größere Gruppe sowieso nicht kommunikativ gehen kann. Gleichzeitig haben andere Motive an Bedeutung hinzugewonnen. Dazu gehören: den Kopf freibekommen, Stress abbauen, zu mir selbst finden, Stille erleben. Wobei es im Wald ja nicht richtig still ist, aber gemeint ist die Abwesenheit von Zivilisationsgeräuschen. Wenn ich also mehr Zeit für mich und meinen Partner haben möchte, ist es zwangsläufig so, dass ich nicht in einer größeren Gruppe gehen kann.
Seit 2015 veröffentlicht die Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften den sogenannten Wandermonitor, für den Wanderer nach ihrem Alter und ihren Vorlieben befragt werden. Beschreiben Sie uns bitte den deutschen Durchschnittswanderer.
Er ist gleichermaßen männlich wie weiblich und in den 40ern – in der zweiten Hälfte der 40er, um genau zu sein. Er wandert am liebsten zu zweit und das mehrmals pro Monat, auch im Winter, hat einen überdurchschnittlichen Bildungsabschluss und läuft im Schnitt gute vier Stunden, also rund 15 Kilometer. Übrigens: Wenn man ein Paar fragt, wie lang und wie weit es gegangen sind, dann ist der Mann immer in kürzerer Zeit weiter gegangen als die Frau, obwohl sie zur selben Zeit losgelaufen und gemeinsam angekommen sind (lacht).
2016 betrug das Durchschnittsalter noch 52 Jahre. Jetzt sind es 48,7. Die Wanderer werden immer jünger. Haben Sie trotzdem Nachwuchssorgen?
Menschen in den 20ern wandern heute tendenziell häufiger als ihre Vorgängergenerationen. Das Grundproblem aber ist, dass Wandern heute kaum noch an Schulen angeboten wird. Dadurch erleben wir eine Generation, die weder zu Hause noch in der Schule mit dem Thema in Berührung gekommen ist. Für die ist eine Wanderung eine ganz neue Erfahrung – ein Abenteuer.
Wo wird denn hauptsächlich gewandert?
In den Mittelgebirgen. In den vergangenen Jahren sind auch Küstenregionen und flaches Gelände dazu gekommen. Das Hochgebirge und das Alpenvorland sind beliebt, stellen aber eher klassische Sehnsuchtsziele dar, die weniger im Freizeitbereich oder bei Kurzreisen aufgesucht werden, sondern im Rahmen eines Wanderurlaubs.
Was hat sich in den vergangenen Jahren für Wanderer am meisten geändert?
Am eindrücklichsten ist sicherlich, dass wir eine enorm hohe Zahl prädikatisierter Wanderwege in Deutschland vorzuweisen haben. Wir haben ja überhaupt erst vor knapp 20 Jahren damit begonnen, Gütesiegel zu vergeben. Mittlerweile gibt es allein in Deutschland etwa 800 zertifizierte Wanderwege. Das sind zum Teil kurze Wege von acht, zehn oder 14 Kilometern, aber auch Streckenwege wie der über 150 Kilometer lange Rothaarsteig. Hinzu kommen mehrere Tausend zertifizierte, wanderfreundliche Gastgeber. Neuerdings werden auch Wanderregionen und einzelne Orte ausgezeichnet, sodass ich als Wanderer ein außerordentlich breites und qualitativ hochwertiges Angebot nutzen kann.
Was ist für Sie persönlich das Schönste am Wandern?
Ein pfadiger Weg mit häufigen Perspektivwechseln und eine gute Beschilderung, damit ich weiß, wo ich abbiegen muss, damit ich in einen Flow-Zustand komme.
Ihre Lieblingsstrecke?
Ich lebe mit meiner Familie in Trier, da habe ich gleich ein paar zertifizierte Wanderwege vor der Haustür. In Ihre Richtung zum Beispiel den Eifelsteig, in die andere den Saar-Hunsrück-Steig. Es gibt den Moselsteig und eine ganze Reihe kleinerer Wege – an der Mosel heißen sie Seitensprünge. Ansonsten bin ich einer der vielen klassischen Mittelgebirgswanderer.