Demis Volpi ist der neue Ballettdirektor und Chefchoreograf an der Rheinoper. Im Top Magazin spricht er über seine neu geformte Compagnie, beschreibt seine Arbeitsweise und legt ein Bekenntnis zum Handlungsballett ab.
„Das Theater ist meine eigentliche Heimat“, betont Demis Volpi, der sich für das Top Magazin in den Katakomben der Rheinoper fotografieren ließ.“
Der kleine Demis war noch keine vier Jahre alt, als er eines Morgens aus dem Bett sprang und seine Mutter mit der Ankündigung überraschte: „Ich möchte Balletttänzer werden!“ Er ließ keine Ruhe, bis er Unterricht bekam. „Kein Mensch wusste, woher ich das Wort überhaupt kannte“, sagt Demis Volpi, „das wird für immer ein Geheimnis bleiben.“ An sein erstes Training kann er sich dagegen noch gut erinnern. „Vor lauter Freude brach ich in Tränen aus. Ich wusste, der Ballettsaal wird jetzt mein Zuhause sein. Für immer.“ So kam es auch. Aus dem zielstrebigen Jungen aus Buenos Aires wurde erst ein Tänzer, dann ein Choreograf, dann ein Opernregisseur. Und schließlich der neue Direktor der Ballett-Compagnie an der Deutschen Oper am Rhein. Seinen Start in der Spielzeit 2020/2021 hatte sich Demis Volpi allerdings anders vorgestellt. Corona warf alle Vorbereitungen über den Haufen. „Wir brauchten sehr viel kreative Kraft, um unter den veränderten Bedingungen einen Spielplan zusammenzustellen“, berichtet er. „Das ist uns gelungen, weil wir gelernt haben, neu zu denken. Und wenn es länger dauert, werden wir wieder andere Räume öffnen.“ Noch vor Corona hatte Demis Volpi seine Compagnie geschmiedet – mit 45 Tänzern aus 20 Nationen. Wie immer bei einem Wechsel an der Spitze kam es auch hier zu starken Veränderungen. Manche gingen von allein, „weil sie sich nach der langen Zeit bei Martin Schläpfer nicht vorstellen konnten, hier einfach weiterzumachen“, berichtet Demis Volpi. „Andere wiederum passten nicht so recht in mein künstlerisches Konzept. Aber mit jedem Einzelnen habe ich gesprochen, um die beste Lösung zu finden.“ Kaum war bekannt, dass er mit erst 34 Jahren als Ballettdirektor und Chefchoreograf nach Düsseldorf geht, hagelte es Bewerbungen aus aller Welt. Volpi hat einen guten Ruf und viele Kontakte. Manchmal ging er auch auf Reisen, um Tänzer zu beobachten, etwa nach Toronto und Dresden. Zu beiden Compagnien pflegt er beste Beziehungen. An „Canada‘s National Ballet School“ in Toronto hat er einst Tanz studiert und parallel sein Highschool-Diplom gemacht – mit Auszeichnung. Bei seiner ersten Arbeit an der Rheinoper stellte er das neu geformte Ensemble vor. Nicht auf einmal, sondern in den drei Episoden „A First Date“. Die Besetzung der einzelnen Gruppen sei eine Herausforderung gewesen: „Wir achteten sehr auf eine sinnvolle Balance aus früheren und dazugekommenen Tänzern, versuchten herauszufinden, wie ihre Psychologie funktioniert. Das war wie ein Puzzle, das sich täglich ändert.“ In seiner Biografie wird Demis Volpi als „argentinisch-deutscher Choreograf“ bezeichnet. Was an ihm ist argentinisch, was deutsch? Da stutzt er und muss lachen. „Gute Frage. Das hat viel mit Heimatgefühl zu tun. In Buenos Aires wurde ich geboren, meine Eltern waren Einwanderer aus Spanien und Italien. Aber wir Geschwister besuchten die deutsche Schule und wuchsen mit der Sprache auf. Dafür hatte meine Mutter gesorgt und uns nebenbei noch Privatunterricht ermöglicht.“ Demis Volpi spricht akzentfrei Deutsch. Mit 20 Jahren kam er nach Stuttgart und wurde in der John Cranko Schule als staatlich geprüfter klassischer Tänzer ausgebildet. Dem renommierten Corps de Ballett gehörte er bis 2013 an. Im gleichen Jahr erwarb er die deutsche Staatsangehörigkeit. „Aus tiefer Überzeugung“, erklärt er. „Ich fühle mich diesem Land und seiner Kultur eng verbunden.“ Er kommt erneut auf den Begriff Heimat zu sprechen. „Ich hatte das Glück, überall auf der Welt meine Arbeiten zeigen zu dürfen. Sobald ich irgendwo ankomme und mich noch etwas fremd fühle, muss ich nur ins Theater gehen. Dann spüre ich es sehr deutlich – das Theater ist meine eigentliche Heimat.“ In Stuttgart begann er 2006 zu choreografieren. Nach seinem abendfüllenden Ballett „Krabat“ wurde Demis Volpi zum Haus-Choreografen ernannt. Parallel erarbeitete er zahlreiche Stücke für internationale Häuser.
Demis Volpi im Gespräch mit Regina Goldlücke (Top Magazin)
Und inszenierte mit „Fetonte“ seine erste Oper für das Festival „Winter in Schwetzingen“. Ein ungewöhnlicher Spagat, wie kam es dazu? „Ich liebe Opernmusik seit meiner Jugend, hatte mir aber nie eine Karte für eine Aufführung geleistet. Wenn ich Geld hatte, gab ich es fürs Ballett aus“, erzählt Demis Volpi. Sein erstes Opernerlebnis war die legendäre „Zauberflöte“ von Peter Konwitschny: „Eine Offenbarung, nicht zu übertreffen. Nie zuvor hatte ich so viel gelacht und so viel entdeckt.“ Als man ihn in Stuttgart bat, die Oper „La Juive“ mit einer Ballettszene anzureichern, war er glücklich. „Ich wusste, darin steckt ein Universum an Möglichkeiten, das will ich erforschen. Seitdem blieb ich der Oper immer treu.“ Eine auch in Düsseldorf denkbare Aufgabe? „Wir werden sehen“, antwortet er. „Zunächst einmal muss ich beim Ballett ankommen.“ Am 15. Oktober wird er bei „Far and near all around“ seine erste Uraufführung zeigen, die zweite, noch unbetitelte, folgt am 15. Dezember. Als Tänzer hat Demis Volpi seinen Abschied genommen. Endgültig. Damit schwindet auch die Heidenangst, die er vor jeder Premiere hatte. „Ich bin froh, nicht mehr auf, sondern hinter der Bühne zu stehen“, gibt er zu. „Mein Leben lang habe ich trainiert, viele Stunden, jeden Tag. Eine unglaubliche Zeit, in der ich viel gelernt habe, auch Selbstdisziplin. Beides zusammen, Tanz und Choreografie, kann man auf Dauer nicht mit voller Kraft machen. Choreograf zu sein, ist vielleicht der noch größere Kampf.“ Anfangs habe er das Tanzen noch vermisst. „Es war keine gute Entscheidung, mich dabei nicht begleiten zu lassen. Ich nahm zu, war voller Unruhe, die ich nicht zuordnen konnte. Mir fehlte die Bewegung.“ Einen Teil fängt er heute im Ballettsaal beim Einstudieren mit den Tänzern auf, zusätzlich treibt er Sport. Dennoch war ihm immer klar, die richtige Wahl getroffen zu haben. „Stücke zum Leben erwecken, das musste ich jetzt machen, mehr als alles andere.“ Wie geht er dabei vor? „Manches zeige ich, damit man versteht, was ich meine. Manches versuche ich zu beschreiben, und wieder anderes entsteht aus einer Überlappung von Ideen, die sich bei der Entwicklung einer Choreografie ergeben. Wenn ich sehe, wie sie funktioniert und wie der Tänzer sie umsetzt.“ Schon im Vorfeld von Volpis Antritt in Düsseldorf war viel von einer Renaissance des Handlungsballetts die Rede. Ein Teil des Publikums hätte davon in der Ära Schläpfer gern mehr gesehen. Würde sich der neue Direktor diesem Genre wieder intensiver zuwenden? Demis Volpi ist das Thema geläufig. Natürlich spürt er eine gewisse Erwartung und Neugier. „Man muss das vorsichtig abwägen, damit man keine falschen Vorstellungen weckt“, sagt er, bekennt sich aber zum Handlungsballett. „Es ist ein wichtiger Teil des Theaters, wir sollten es kultivieren. Für mich ist der Tanz eine darstellende Kunst. Der Mensch und die Entwicklung von Figuren stehen im Mittelpunkt.“ Allerdings hätten sich manche Klassiker auch überlebt. „Ganz ehrlich, ich weiß nicht, wie spannend das heute noch ist. Wir dürfen nicht zu sehr an der Vergangenheit kleben, das wäre unehrlich. Die Neoklassik bewahren, sie aber weiterentwickeln, das ist mein Ziel. Man kann nur aus der Gegenwart schöpfen.“ Er versuche mit seinem Ensemble ein Repertoire aufzubauen, das für die Zeit, die Künstler und das Publikum Sinn ergibt. Der Zuschauer, fügt er noch hinzu, müsse die Möglichkeit haben, einen Ballettabend zu verstehen und zu genießen, ohne vorher eine wissenschaftliche Abhandlung darüber gelesen zu haben. Gleichwohl weiß Demis Volpi um die Affinität der Düsseldorfer zum abstrakten Ballett, auch das wird er pflegen. Und zudem – eine schöne Idee – einige Stücke aus früheren Spielzeiten erneut auf die Bühne bringen. Den Anfang machen die Choreografien „Dances with Piano“ und „Solo“ von Hans van Manen am 20. November. Wie ist es um seinen Gemütszustand bestellt, so kurz vor dem Start? „Die Bedingungen an diesem Haus sind wunderbar, ich bin umgeben von einer tollen Compagnie in idealer Größe und tollen Gewerken. Jetzt freue ich mich einfach darauf, endlich loszulegen.“
Aus dem Top Magazin Düsseldorf Nr. 03-2019
Veröffentlichung
» 09/2019 - 12/2019
Autor
» Top Magazin
Fotograf
» Melanie Zanin, Anne Orthen
Print-Titel
» Ich freue mich darauf, endlich loszulegen