Die neue Freiheit am Lenkrad: Platz nehmen, zurücklehnen, Spaß haben
Großformatige Reklametafeln säumen die Zufahrt vom Messeparkplatz zum Düsseldorfer Autokino. Im Westen versinkt die Sonne und lässt den Himmel aufglühen. Es ist 21 Uhr. Langsam rollt die Autokarawane vorwärts. Auf der Fahrerseite nähert sich ein Mann mit Mundschutz und Scanner. Durch das geschlossene Fenster überprüft er das ausschließlich im Internet zu erwerbende Ticket und wünscht einen schönen Abend. Beim Einbiegen in die letzte Kurve grüßt ein Schild: „Herzlich willkommen!“ Mit der Düsseldorfer Skyline, vor der eine Reihe Autos parkt, wirkt es anheimelnd und nostalgisch. Tatsächlich scheint die Zeit auf einmal zurückgedreht. Autokinos, wann gab es die noch? Und wie lange sind sie schon weg? Nur zwei dieser Relikte aus den 60er- und 70er-Jahren haben in NRW überdauert: in Köln und in Essen.
Ein schicker Cadillac von 1966, der ganz vorn im Düsseldorfer Autokino parkt, vermittelt das perfekte Nostalgie-Gefühl.
Autokinos galten irgendwann als altbacken und bekamen nach und nach einen leicht „schmuddeligen“ Ruf. Weil sich in den Polstern zahlreiche Pärchen tummelten, denen der Film, der dort vorn gerade lief, komplett schnuppe war. Doch in diesem Frühjahr wurde eine neue Ära eingeläutet. Dank Corona erlebt das Autokino ein sagenhaftes Comeback. Allein in unserem Bundesland schossen fast über Nacht rund 70 Neugründungen aus dem Boden. Dabei hatte Düsseldorf mit der städtischen Tochtergesellschaft D.Live die Nase vorn und konnte dazu noch Gottfried Schultz mit Volkswagen als Sponsor gewinnen. „Wir nutzten unsere Chance, sehr schnell zu handeln, weil wir den Vorteil hatten, bereits über eine große Leinwand zu verfügen“, sagt Peter Vollmar, der Organisator vor Ort. Er deutet auf die hoch aufragende riesige Fläche von 400 Quadratmetern: „Die Leinwand wird sonst beim Open-Air-Kino am Rheinufer eingesetzt, das diesen Sommer pausieren muss. In fünf Tagen wurde der gesamte Aufbau bewältigt, wir konnten also sofort starten
und waren seitdem jeden Abend ausverkauft.“ Nicht nur Kinofilme lockten Zuschauer an. Es mangelte keineswegs an kreativen Ideen für weitere Verwendungszwecke. Schon bald fanden hier, wie in vielen Städten der Region, Konzerte im Autokino statt. Der Berliner Rapper Sido trat an zwei Abenden hintereinander auf. Auch hörte man von Aktivitäten wie Gottesdiensten,
Sportveranstaltungen oder einer „Drive-in-Comedy“ auf dem Ikea-Parkplatz in Kaarst. In Düsseldorf wurde sogar eine Trauung zelebriert. Janine und Philip Scholz heirateten
auf der Bühne des Autokinos. Getraut wurden sie von OB Thomas Geisel. Der SPD-Politiker war durch eine Kunststoffscheibe und reichlich Blumen von dem Paar getrennt.
Nur fürs Foto steigt Peter Vollmar von D.Live zu Julia Wild in den Oldtimer ein.
Als Gäste durften 30 Autos mit Familie und Freunden anreisen, die die Zeremonie live per Autoradio auf der UKW-Frequenz 92,6 in ihren Fahrzeugen mitverfolgten konnten. Die Gründe für den Boom liegen auf der Hand. Als einer der raren Orte, an denen man beim Lockdown überhaupt zusammenkommen durfte, bot das Autokino zumindest einen Ersatz für die überall verbotene Geselligkeit. Regelmäßige Kinogänger konnten auf diese Weise Entzugserscheinungen abwenden, denn Filme auf großer Leinwand gab es sonst nirgendwo zu sehen. Sogar das renommierte
Bundes.Festival.Film, das im Wuppertaler Rex-Filmtheater geplant war, fand unweit davon im Autokino am Carnaper Platz eine sichere Heimstatt – als erstes Filmfestival unter freiem Himmel. In Düsseldorf wurde sogar ein zweites Autokino installiert – auf einem Parkplatz im Stadtteil Lichtenbroich, wo sonst die Autos der Flughafen-Passagiere abgestellt werden.
In Reih und Glied parken die Autos vor der 400 Quadratmeter großen Leinwand, die man aus dem Open-Air-Kino am Rheinufer kennt.
Der blieb ja nun frei. Die Veranstalter bemühten sich nach Kräften um Kassenschlager für die ausgehungerten Auto-Zuschauer. An der Messe lief „A Star is Born“ mit Lady Gaga, „Der Junge muss an die
frische Luft“ oder „Das perfekte Geheimnis“. In Lichtenbroich bot die Drive & Park Booking GmbH mit „Dirty Dancing“ einen Klassiker und gleich danach den „Joker“, stilgerecht
zur Geisterstunde um 0.45 Uhr. Diese Leinwand-Hits hatten sicher eine magnetische Wirkung. Doch es gibt noch eine zweite Wahrheit: Vielen, die den Weg ins Autokino
antraten, ging es um ein Gesamterlebnis. „Eigentlich bin ich nicht hier, weil der Film mich brennend interessiert“, gibt die Düsseldorferin Franziska Scharfschwerdt fröhlich zu. „Ich war neugierig und wollte einfach mal wissen, wie das alles auf mich wirkt.“ Dann macht sie es sich mit ihrem Mann bequem und wartet auf das britische Gangster-Epos „The Gentlemen“.
Auch an den Autos funktioniert der Verkauf bargeldlos. Bezahlt wird übers Smartphone.
Dafür hat das Paar an der Messe einen der 40 Plätze im VIP-Bereich gebucht. Sie sind mit 89 Euro für zwei Insassen teurer als die normalen Ticket für 22 Euro. Dafür kommt
man aber in den Genuss von einem Lunchpaket mit Getränken wie Piccolo und Wasser sowie Snacks und Wraps, die direkt ans Auto gebracht werden. Auch ein „Pkw Menü“ für
12,50 Euro (Kinder 6,50 Euro) wird angeboten und über Scanner bezahlt. Dafür zieht Johannes Brill vom Park-Team mit seinem Bollerwagen durch die Reihen und nimmt Bestellungen
auf. Nach einem simplen System: Lichthupe für Chicken, Warnblinkanlage für die vegane Variante. An exponierter Stelle, noch vor der ersten Reihe, ist ein roter Cadillac aufgebockt, ein
glänzender Oldtimer von 1966. Julia Wild ist es gelungen, das Schmuckstück für diesen Abend zu ergattern. „Der Film ist heute für mich zweitrangig“, offenbart auch sie und lacht. Julia freut sich auf die Chips und das Glas Weißwein während der Vorstellung, für ihre Freundin gibt es alkoholfreies Bier. Sie muss später, wenn der Cadillac-Traum vorbei ist, ihr eigenes Auto nach Hause steuern. Nach der Werbung, wie man sie aus dem Kino kennt, beginnt um 22.07 Uhr „The Gentlemen“. Um Punkt Mitternacht legen sich die Gangster auf der Leinwand zur Ruhe, die Zuschauer treten den Heimweg an. Erstaunlich, wie schnell 500 Autos davonrollen. Peter Vollmar zeigt noch den Backstage-Bereich, gemütlich ausstaffiert mit Kicker, Billard und
bequemen Sofas und Sesseln. „Hier entspannen unsere Künstler beim Konzert“, sagt er. „Rapper Sido war schon dreimal hier, er mag die Stimmung in unserem Autokino.“
Johannes Brill vom Park-Team bringt mit dem Bollerwagen Snacks und Getränke zu den Besuchern.
Bis zum 1. August bleibt die Leinwand auf dem Messeparkplatz fest installiert. Das Programm wird ständig erweitert und aktualisiert. Ein Highlight wird die „Flight Night“ des Stabhochsprungs am 12. Juni sein, das erste große Zuschauer-Event Deutschlands im Sport seit dem Corona-Lockdown. „Eines Tages wird die Welle wahrscheinlich wieder abebben“, vermutet Peter Vollmar. „Zumal jetzt
auch die Kinos wieder geöffnet sind.“ Mag sein, dass er richtig liegt. Mag aber auch sein, dass er sich täuscht und wohl auch insgeheim hofft, dass die rasante Renaissance der Autokinos
keine Eintagsfliege ist. Sondern ein dauerhaftes Sommermärchen, weil die Zuschauer Geschmack daran gefunden haben. (www.autokino-duesseldorf.de)
Sogar auf einem Parkplatz kann es romantisch sein.