„Wir müssen uns dem Konkurrenzkampf stellen“
Auf die Frage, wie die ersten Wochen im…
Niemand hat damit gerechnet, dass Peter Lindbergh die Eröffnung seiner ersten selbst kuratierten Werkschau im Kunstpalast nicht mehr erleben würde.
Mit der ihm üblichen Akribie ist Lindbergh, dieser zugewandte, ein Menschenfreund, der sich andere einließ, ans Werk gegangen. Er hat ausgewählt, hat bestimmt, wie die Bilder kombiniert werden, wie sie hängen, welches Glas oder welche Rahmung gewählt werden sollte – er hatte alle Freiheiten. Manche riesig, andere überschaubar groß. „Es ist intuitiver Zugang“, sagt Felicity Korn, Referentin Direktors. „Es ist ein sehr persönlicher Blick auf sein, das – da bin ich mir sicher – für viele Besucher Überraschung darstellen wird. Neben bekannten Aufnahmen aus dem Mode-Kontext sind einige Aufnahmen zu sehen, die noch nie ausgestellt wurden“, so Krämer. Und: Sie erzählen Geschichten, so wie es der womöglich bekannteste und bestbezahlte Fotograf der Welt immer getan hat. Von daher ist der Titel dieser Ausstellung auch passend gewählt: „Untold Stories“, also nicht erzählte Geschichten. Ein nachdenklicher Antonio Banderas neben einer
nachdenklichen, in sich verknoteten Karen Elson, Aufnahmen von Model Naomi Campbell oder den Hollywoodstars Nicole Kidman oder Helen Mirren, von der blutjungen, noch dunkelhaarigen Claudia Schiffer oder von den beiden Riemchenschuhen von Milla Jovovich, die sie 1990 bei einem Shooting in der Mojave-Wüste in den Staub geworfen hatte – für jeden, der die Bilder sieht, ist eine Geschichte dabei. Lindbergh, der sich bis zuletzt stets als der lebenslustige, zugängliche, unkomplizierte Kumpel aus dem Ruhrgebiet gegeben hat, gefielen offensichtlich Momente von berührender Melancholie.
Sie geben das Beste beim Rückblick auf sein Lebenswerk. Ein Konzentrat der Menschlichkeit. Zwei Jahre lang habe man an der Schau gefeilt, dann kam die erlösende Nachricht auf dem Smartphone. Er habe das Gefühl, die Ausstellung sei fertig, schrieb der Meister. Sechs Tage später war er tot. Und dann? „Sowohl der Familie als auch uns war sofort klar, dass wir
diese Ausstellung weiterhin unbedingt machen wollten. Dieses Projekt hat Peter Lindbergh wahnsinnig viel bedeutet; deshalb hat er bis zuletzt so intensiv an der Ausstellung gearbeitet“, berichtet Felix Krämer. Tatsächlich hat er wenige Tage vor seinem Tod die letzten Werke festgelegt und die Hängung fertiggestellt. Felicity Korn ergänzt: „Peter Lindbergh hat die Positionierung jedes Werkes und die Art der Präsentation bis ins letzte Detail geplant. In seinen vorbereitenden Skizzen hat er im Vorhinein viel ausprobiert und mit seinen eigenen Arbeiten experimentiert, bis am Schluss alles zusammengepasst hat.“ Die Wände im Oberlichtsaal des Kunstpalastes sind acht Meter hoch, tapeziert mit Fotos. Dabei schauen unzählige Blicke
auf den Besucher herab, denn Peter Lindbergh (1944- 2019) hat aus Millionen von Aufnahmen das Beste destilliert, darunter auch erstmals Aufnahmen von einem Todeskandidaten. Natürlich betrachtet man in der großen Werkschau nicht allein die Auswahl der Motive, sondern obendrein die Präsentation, die so überwältigend ist, dass man im ersten von drei Sälen
den Kopf einen Moment lang einzieht, bevor man ihn in den Nacken legt, um an den vier Wänden die Aufnahmen zu begreifen, die bis zu vier Meter breit und allesamt zweieinhalb Meter hoch sind, ein Bild am anderen, neben- und übereinander geklebt. Seine Arbeit fortzusetzen – was war daran besonders herausfordernd für die Düsseldorfer Ausstellungsmacher?
„Wir sind in der glücklichen Position, dass wir seine Wünsche und Vorstellungen sehr gut kennen und wir glauben, diese genau umsetzen zu können“, so Korn. „Natürlich hat er uns gerade während der Hängung besonders gefehlt, plötzlich fallen einem noch 100 Fragen ein, die man ihm gerne gestellt hätte, Themen, über die man gerne mit ihm diskutiert hätte. Aber nun sprechen
seine Arbeiten vollkommen für sich und das hat auch einen großen Wert.“ Was seine Motive miteinander verbindet, ist die Art ihrer Inszenierung, die immer die Fantasie des Betrachters anregt. Seine schwarzweißen Porträts sind sowohl zeitlos als auch völlig aus der Zeit gefallen. Dass Lindbergh es schafft, dass man selbst bei Aktaufnahmen als Erstes in das Gesicht einer Frau
schaut, zeugt von seiner Kunst in der Dramaturgie. Eine Ausstellung, die man auf keinen Fall verpassen sollte. Felix Krämer ist nicht der Erste, der die Fotografien Lindberghs in den Kunstbereich geholt hat: Die Kunsthalle Rotterdam und die Kunsthalle München etwa widmeten Peter Lindbergh vor drei Jahren eine Schau mit dem Untertitel „From Fashion to Reality“.
Und seine Werke befinden sich in den Sammlungen von Häusern wie dem Metropolitan Museum of Art in New York, dem Victoria & Albert Museum in London oder dem Centre Pompidou in Paris, wobei aber Düsseldorf und Lindbergh eine ganz persönliche Beziehung haben.