Das kreative Rückgrat der Stadt
Düsseldorf ist eine Kunststadt. Das sieht man allerdings…
Marianne Heiß steuert seit einem Jahr als CEO die Geschicke der BBDO Group Germany, die zum amerikanischen Werbekonzern Omnicom gehört. Sie gilt als große Befürworterin von Frauen in Führungspositionen. Im Top- Interview erzählt die Österreicherin, wie sie die Agenturgruppe neu aufgestellt hat, warum die Zukunft des Managements weiblich ist und was notwendig ist, um es bis an die Spitze eines Unternehmens zu schaffen.
Top Magazin: Sie sind jetzt genau ein Jahr an der Spitze der deutschlandweit größten Netzwerkagentur BBDO Group Germany. Wie lautet Ihr erstes Fazit?
Marianne Heiß: Es könnte fast nicht besser sein, wir blicken auf ein äußerst erfolgreiches Jahr 2019 – mit einer signifikanten Ergebnissteigerung – zurück. Das Fundament unseres Unternehmenserfolges sind unsere Kunden. Und wir haben im letzten Jahr 30 neue gewinnen können. Damit sind wir nun in einer hervorragenden Poleposition. Wir freuen uns auf die neuen Herausforderungen in diesem Jahr.
Was waren bislang die größten Herausforderungen?
Die Herausforderung, die ich im letzten Jahr als die größte für mich empfand, war, die Balance zwischen meinen CEO-Aufgaben und meinem Privatleben zu finden. Die Grenzen werden immer fließender, wenn man jederzeit erreichbar ist. Das ist Chance und Fluch zugleich. Wenn man keinen guten Weg findet, sich zu strukturieren und zu organisieren, dann kann das auch zu einer großen Gefahr werden. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man nur langfristig erfolgreich und zufrieden sein kann, wenn man es schafft, verschiedene Lebensbereiche gut zu besetzen: das Berufliche, das Private, Familie, Freunde, persönliche Interessen wie Kunst oder Musik.
Welche Maßnahmen haben Sie ergriffen, um die Gruppe neu aufzustellen?
Die Aufgabe eines CEO ist unter anderem auch, Lösungen für Probleme aufzuzeigen. Wir haben im letzten Jahr unglaublich viel bewegt: Wir haben die Strukturen vereinfacht, wir haben Hierarchien abgebaut, um flexibel und schnell auf Kundenanforderungen zu reagieren. Das bedeutet natürlich auch, dass Entscheidungen notwendig waren, die möglicherweise nicht jedem gefallen haben. Aber es waren die richtigen Entscheidungen, um die Zukunftsfähigkeit dieses Unternehmens zu sichern. Und der Erfolg im Jahr 2019 hat uns recht
gegeben.
Wie würden Sie Ihren Führungsstil bezeichnen?
Ich bin niemand, der Hierarchien oder Status lebt. Ich fördere Vielfalt und Inspiration. Wir arbeiten schließlich in einem kreativen Umfeld. Man sagt mir allerdings auch nach, dass ich sehr klar und direkt bin. Das gehört eben auch zu dieser Aufgabe: Ich analysiere Fakten, entscheide sehr schnell und dann kommuniziere ich auch präzise.
Was machen Sie anders als Ihre männlichen Kollegen?
Ich bin kein Freund von Stereotypen. Natürlich bin ich eine Frau, aber in erster Linie Mensch. Als solcher bin ich wahnsinnig neugierig und am Menschen an sich interessiert. Und genauso richte ich auch mein Augenmerk auf unsere Kunden. Was sind die Herausforderungen? Wie können wir sie dabei unterstützen? Das gilt genauso auch für die Belange unserer Mitarbeiter*innen. Empathie ist sicherlich etwas, was mich auszeichnet.
Wie gehen Sie mit Niederlagen um?
Niederlagen gehören zum Leben, im Beruflichen wie im Privaten. Das Entscheidende ist jedoch der Umgang damit. Ich bin mit einer Begeisterungsfähigkeit und Resilienz ausgestattet, wofür ich dankbar bin. Das hilft mir, Niederlagen als das zu nehmen, was sie sind: eine Gelegenheit zu hinterfragen und zu lernen, um es beim nächsten Mal besser zu machen. Ich lasse mich nie unterkriegen, sondern schaue nach vorne und nie zurück. Das hat sich gut bewährt. Im Privaten wie auch im Beruflichen.
Der Frauenanteil in deutschen Konzernvorständen steigt, dennoch sitzen zehnmal mehr Männer als Frauen in den Chefetagen börsennotierter Unternehmen. Was muss sich ändern?
Karrieren folgen dem Ähnlichkeitsprinzip, das heißt, Entscheider fördern diejenigen, die ihnen am ähnlichsten sind. Dieses Phänomen wird auch homosoziale Reproduktion genannt. Je mehr Frauen in Führungsrollen kommen, desto größer ist die Chance auf Veränderung. In den letzten zehn Jahren hat sich schon viel getan, aber wir sind bei Weitem noch nicht da, wo wir hin müssen. Wir brauchen ergebnisorientierte Führungskulturen anstatt der männerdominierten Präsenzkultur in den Unternehmen. Und wenn die Gesellschaft, die Politik und die Wirtschaft weiter daran gemeinsam arbeiten, sind wir auf dem richtigen Weg. Wir brauchen aber auch mehr Frauen, die bereit sind, aus der Komfortzone herauszugehen und eine Top-Management-Position zu übernehmen. Es wird sich nur wirklich etwas im großen Stil ändern, wenn wir mehr Frauen haben, die als Vorbilder agieren und zeigen, dass man auch Familie und Beruf gut miteinander vereinbaren kann.
Wie können Unternehmen grundsätzlich von einem höheren Frauenanteil in den eigenen Reihen profitieren?
Der Kampf um die Talente ist schon im vollen Gange. Die Unternehmen, die sich nicht darauf konzentrieren, wie sie das gesamte Potenzial an Arbeitskräften, das zur Verfügung steht, ausschöpfen – und es gibt eine Vielzahl top ausgebildeter Frauen –, werden Wettbewerbsnachteile erleiden. Unsere Wirtschaft basiert auf Wissen, und der Wettbewerb um die Top-Führungskräfte ist extrem geworden, auch wir spüren das. Dieses Potenzial der bestens ausgebildeten Frauen auf allen Hierarchieebenen bis zum Top-Management zu integrieren, ist der einzig richtige Weg für kontinuierliches Wachstum und bietet einen deutlichen Wettbewerbsvorteil. Außerdem haben Studien immer wieder belegt, dass ein gemischtes Management-Team am erfolgreichsten ist. Es geht ja nicht darum, dass Frauen Männer ersetzen sollen. Es geht vielmehr um die Vielfalt im Team, um sicherzustellen, dass verschiedenste Perspektiven berücksichtigt und so die richtigen Entscheidungen getroffen werden.
Sie beschäftigen sich schon länger intensiv mit Karriere-Modellen von Frauen. In Ihrem Buch „Yes she can“, das 2011 erschien, stellen Sie die These auf, dass die Zukunft des Managements weiblich ist. Woran machen Sie das fest?
Wenn die Babyboomer-Generation, also die 50er- und 60er-Jahrgänge, in den nächsten Jahren in den Ruhestand geht, wird die Lücke in der Wirtschaft immer größer. Und kein Unternehmen kann es sich leisten, auf dieses immense Potenzial der top ausgebildeten Frauen zu verzichten. Die ökonomische Notwendigkeit durch den demografischen Wandel ist da.
Was ist notwendig, damit Frauen es bis ganz nach oben an die Spitze eines Unternehmens schaffen können?
Die Persönlichkeitsstruktur alleine reicht definitiv nicht aus. Die Erfahrung sagt, dass auch verschiedene Verhaltensweisen einen Karriereweg beeinflussen können. Das Wichtigste ist aber definitiv, sich auf die eigenen Stärken zu konzentrieren. Was sind meine Werte? Was sind meine Talente? Ich hatte die Chance im Leben, dass ich das für mich relativ früh rausgefunden habe und die Möglichkeit, mich auf meine Stärken zu konzentrieren und daraus das Beste zu machen.
Was geben Sie Berufseinsteigerinnen mit auf den Weg?
Neugierig zu sein und die Chancen, die sich im Leben bieten, auch zu ergreifen. Das war auch in meinem Leben so. In jedem Job, in jeder Stadt, in jedem Land hat sich immer eine Chance geboten, die ich dann ergriffen habe. Erfolgreiche Karrieren kann man nicht planen, die entstehen, wenn man Chancen wahrnimmt.
Welche beruflichen Ziele haben Sie selbst noch?
Ich bin gerade seit einem Jahr CEO und konzentriere mich voll auf diese Aufgabe. Wir haben schon sehr viel erreicht, aber wir haben auch noch viel vor. Wir wollen an die Spitze der kreativsten und effektivsten Netzwerkagenturen. Ich fokussiere mich immer auf mittelfristige Ziele und schaue, welche Chancen sich sonst noch in meinem Leben ergeben.
Sie verantworten nicht nur die deutsche BBDO-Gruppe, sondern sitzen auch in den Aufsichtsräten von Volkswagen, Porsche und Audi. Wie lässt sich das alles vereinbaren?
Die Aufsichtsratsmandate hatte ich schon vor meiner Berufung zum CEO. Das ist eine tolle Anerkennung und auch eine spannende Aufgabe in einer intensiven Zeit, nämlich der Transformation der Automobilbranche hin zu E-Mobilität und Digitalisierung. Ich bin wirklich dankbar, dass ich diese Möglichkeit habe. Ich bin sehr gut strukturiert, das zieht sich wie ein roter Faden durch mein gesamtes Leben. Diese Struktur hilft mir sehr, mich auch auf diese Aufgabe zu fokussieren, ebenso wie meine Disziplin.
Sie sind beruflich viel unterwegs, bleibt bei allen Aktivitäten noch Zeit fürs Private?
Es war nicht immer einfach im letzten Jahr. Um Zeit füreinander zu haben, für meine Familie und für Freunde, müssen mein Mann und ich viel planen und organisieren, aber es gelingt uns.
Die beste Art, schnell aufzutanken?
Das ist für mich Bewegung. Ich mache sieben Mal die Woche Sport, meistens vor der Arbeit. Dann natürlich ein guter Espresso, schöne Musik oder ein Tag am Meer. Da kann ich ganz schnell meine Batterien wieder aufladen.
Sie haben letztes Jahr komplett auf Urlaub verzichtet. Wenn Sie denn mal wieder Ferien machen könnten, was würden Sie dann gerne tun?
Ein gutes Buch am Meer lesen. Ich liebe das Geräusch der Wellen. Es ist unglaublich beruhigend.
Mit wem würden Sie gerne mal einen Abend verbringen?
Mit meinem Mann natürlich. Wer aber auch ganz oben auf meiner Liste steht, ist Queen Elizabeth II. Die Frau ist für mich ein Vorbild an Standhaftigkeit, auch in Krisen. Sie trägt traditionelle Werte weiter und lässt sich trotzdem auf den Wandel ein. In ihren fast 70 Jahren Regentschaft hat sie so viele Veränderungen erlebt. Damit meine ich nicht nur politische und wirtschaftliche Krisen, die das Land erschüttert haben, sondern auch ihre privaten. Und diese unglaubliche Disziplin. Sie war bereit, diese Verantwortung zu übernehmen, und hält durch – trotz aller Herausforderungen.