Das kreative Rückgrat der Stadt
Düsseldorf ist eine Kunststadt. Das sieht man allerdings…
Nur Wolfgang Reinbacher gehörte über die ganzen 50 Jahre zum Ensemble des Düsseldorfer Schauspielhauses. Er hat viel zu erzählen.
Wenn im Januar der 50. Geburtstag des Schauspielhauses am Gustaf-Gründgens-Platz gefeiert wird, kommt einem Mann eine besondere Rolle zu. Wolfgang Reinbacher stand 1970 bei der Eröffnungs-Premiere „Dantons Tod“ als St. Just auf der Bühne und erlebte das Chaos um ihn herum. Mit lautstarken Protesten, vornehmlich aus der Studentenschaft, sollten die von der Stadt geladenen Ehrengäste am Betreten des Hauses gehindert werden. Das Theater, so die Forderung, müsse für alle Bürger offen sein und nicht nur für eine Elite. „Ein Skandal war das“, erinnert sich Wolfgang Reinbacher und schmunzelt. „Wer von uns gerade keinen Auftritt hatte, stand am Fenster der Garderobe und schaute auf die grölende Menge hinunter.“ Große Kollegen wirkten mit: Wolfgang Reichmann als Danton, Hans Caninenberg als Robespierre, „und Nicole Heesters war auch dabei“. Hier schließt sich ein Kreis. Beide Schauspieler sind im Erfolgsstück „Terror“ wieder vereint, das auch drei Jahre nach der Premiere noch sein Publikum findet.
Doch nur Wolfgang Reinbacher blieb dem Düsseldorfer Ensemble dauerhaft verbunden, insgesamt sogar über sechs Jahrzehnte. Geboren in der Steiermark, studierte er zunächst Jura, liebäugelte aber immer mit der Schauspielerei. „Ich wollte es wenigstens probieren“, sagt er. Das Max-Reinhardt-Seminar in Wien nahm ihn auf. Als er es fast beendet hatte, kam der Düsseldorfer Schauspielhaus-Intendant Karl-Heinz Stroux in die Stadt und lud ihn am 29. Dezember 1959 zum Vorsprechen ein. In Reinbachers Stimme schwingt Dankbarkeit mit: „Dieser Tag hat mein ganzes Leben gesteuert.“ Vier Wochen später hatte er seinen ersten Vertrag in den Händen. „Das sprach sich unter den Studenten wie ein Lauffeuer herum. Das Düsseldorfer Theater! Für 450 Mark Gage im Monat!“
Am 1. August 1960 trat er in der damaligen Spielstätte in der Jahnstraße an. Und verliebte sich auf der Stelle in seine allseits hochverehrte Kollegin Eva Böttcher. Bis zu ihrem Tod 2011 war das Paar innig vereint, spielte gemeinsam viele Stücke und gestaltete in späteren Jahren den Balladen-Abend „Ewig jung ist nur die Phantasie“. Evas Stimme ginge ihm nicht aus dem Kopf, sagt Wolfgang Reinbacher. Bis heute bringt er die Kraft auf, das Programm auch ohne seine Frau auf der Bühne zu zeigen und ein Riesenpensum an Text zu stemmen. Ähnlich gefordert ist er im Zwei-Personen-Stück „Die Tage, die ich mit Gott verbrachte“ mit Moritz Führmann, das auch schon über 50 Vorstellungen hinter sich hat. „Die Aufführung hat sich mit der Zeit beschleunigt und wurde noch souveräner“, sagt er. „Selbst Moritz ist von unserem Schwung begeistert.“ Gelegentlich gestattet sich Wolfgang Reinbacher Ausflüge ins Operettenreich. Ab Januar ist er an der Rheinoper in der „Fledermaus“ zu sehen. „Früher galt ich als unmusikalisch“, offenbart er, „aber das kann man mit guter Anleitung üben.“ Der Umgang mit jungen Kollegen tut ihm gut. „Die brennen genau so, wie wir es taten. Deshalb spiele ich auch noch so gern Theater.“
Es hat etwas Wunderbares, an Wolfgang Reinbachers reichem Erinnerungsschatz teilzunehmen. Mit großer Freude blickt er auf seine Theaterjahre zurück, betont aber auch: „Ich bin kein Vergangenheits-Schauspieler, der von ehemaligen Erfolgen zehrt. Ich lebe im Jetzt.“ Dennoch kommt man an seiner Vergangenheit nicht vorbei. Kein anderer am Haus hat wie er neun Intendanten erlebt. Angefangen beim legendären Karl-Heinz Stroux, der Gustaf Gründgens beerbte und das Düsseldorfer Theater nachhaltig prägte. In seine Zeit fielen spektakuläre Uraufführungen von Eugène Ionesco, „Tango“ von Sławomir Mrożek oder „Die Kassette“ mit Theo Lingen. „Das war Ereignistheater“, sagt Wolfgang Reinbacher. Man spielte viel en suite und bewegte sich seiner Einschätzung nach weit mehr als heute in einem geschützten Raum. „Der Stroux war ja beleidigt, wenn man wie ich auch mal an anderen Theatern auftrat, so wie ich in Basel, wo Friedrich Dürrenmatt Chefdramaturg war. Ich möchte diese Zeit nicht missen. Mit ihm im Wirtshaus zu sitzen, war schon ein besonderes Erlebnis.“ Unvergessen auch die Düsseldorfer Bühnen-Adaption von Heinrich Bölls „Der Clown“. Der Kölner Schriftsteller war bei den Proben anwesend, „aber das Stück hatte keinen richtigen Schluss“, erzählt Wolfgang Reinbacher. „Er war halt ein Epiker und kein Dramatiker. Frech wie ich war, machte ich ihm den Vorschlag, es mit einer lateinisch gesungenen Messe enden zu lassen, die ich als Ministrant in Graz gelernt hatte. Das hat er dann aufgegriffen.“
Auf Karl-Heinz Stroux folgte Uli Brecht. „Das politische Theater, das er umsetzen wollte, kam nicht an. Die Zuschauer blieben weg. Mir tat er leid, weil ich ihn schätzte, aber das Haus hat sehr darunter gelitten.“ Der Intendant hatte die Intention, alle müssten mitreden. „Gut gemeint, Ziel verfehlt. Es war ja keiner da, der mitreden wollte“, resümiert Wolfgang Reinbacher. „Sein Nachfolger Günther Beelitz wusste sehr genau, dass damit kein Blumentopf zu gewinnen war. Er achtete darauf, dass die Qualität der Aufführungen für sich sprach, was ihm auch gelang.“ Bei seinem Wechsel ans Residenztheater München gingen einige aus dem Ensemble mit. Auch Wolfgang Reinbacher. Gegen Ende der Ära Volker Canaris kehrte er ans Schauspielhaus zurück, diesmal für immer. Bei den Intendantinnen Anna Badora und Amélie Niermeyer beschleicht ihn der Gedanke: „Zwei tüchtige Frauen, ich mochte sie. Mir ist nur, als hätten beide nie so richtig Fuß gefasst in Düsseldorf.“ Erst recht galt das für Staffan Holm. Schon bei dessen Antritt schwante Wolfgang Reinbacher nichts Gutes. Als er ihm aufmunternd sagte, er dürfe sich auf Düsseldorf freuen, gab der Schwede zur Antwort: „Aber das Theater ist so groß.“ Nicht nur das Haus schüchterte ihn ein, ihm fehlte auch eine wirkliche Verbindung zum deutschen Theater. Nach einer kurzen Episode mit Manfred Weber und einer „rettenden kurzzeitigen Rückkehr“ von Günther Beelitz trat vor drei Jahren Wilfried Schulz an. Mit frischem Wind und kreativen Ideen weckte er in Düsseldorf eine neue Lust am Theater und überspielte mit einem fabelhaften Ensemble alle noch so widrigen Umstände. Mutig und beharrlich bereitete der Intendant die Rückkehr an den Gustaf-Gründgens-Platz vor. Die Zuschauer stiegen vorwiegend gelassen über den Schutt hinweg. Bis zum 50. Geburtstag soll er endgültig weggeräumt und das Theater fertig sein.
Elf Tage, vom 11. bis zum 26. Januar, dauert das Jubiläums-Programm. Eröffnet wird es am 16. Januar mit einem Festakt und der Premiere von Bertolt Brechts „Leben des Galilei“, die Titelrolle spielt Burghart Klaußner. Beim Liederabend „I build my time“ von André Kaczmarczyk erinnert das Ensemble an Vergangenes und Erlebtes. Es ist auch eingebunden in die musikalische Grußbotschaft der Britin Anna Calvi, sie komponierte die Musik zu „Der Sandmann“. Führungen machen das grunderneuerte Theater den Besuchern zugänglich, nicht nur am Tag der offenen Tür mit zahlreichen Veranstaltungen auf allen Bühnen, in den Garderobe und im Foyer. Die Sanierung des denkmalgeschützten Baus von Bernhard Pfau durch den Architekten Christoph Ingenhoven wird auch Thema einer Talkrunde sein. Künftig wird das Foyer immer dienstags und samstags geöffnet sein und einen Freiraum und nichtkommerziellen Treffpunkt bieten – für Bürger-Dinner, Diskussionen oder Partys. Zum Jubiläum wird auch eine umfangreiche Publikation über 50 Jahre Theatergeschichte in Düsseldorf erscheinen. Reich bebildert mit Fotos aus Inszenierungen und ergänzt durch Beiträge bekannter Persönlichkeiten, die dem Düsseldorfer Schauspielhaus verbunden sind.