Das kreative Rückgrat der Stadt
Düsseldorf ist eine Kunststadt. Das sieht man allerdings…
Der Kunstpalast zeigt in Düsseldorf ab dem 19. September mehr als 80 Outfits und Accessoires des Designers, der seinerzeit die Modeszene mit avantgardistischen Entwürfen revolutionierte. Das Top Magazin sprach mit der Kuratorin Barbara Til über die Hintergründe.
Top Magazin: Der Kunstpalast widmet Pierre Cardin unter dem Titel „Fashion Futurist“ die erste umfangreiche Präsentation in Deutschland. Wie kam es dazu?
Barbara Til: In der Modestadt Düsseldorf eine Ausstellung über Fashion zu machen, bietet sich doch eigentlich an, denn es greift ein wichtiges Thema der Stadt auf. Und als Felix Krämer 2017 in Düsseldorf als Direktor des Museums anfing, kam er direkt mit der Idee auf mich zu, etwas in diesem Bereich auf die Beine zu stellen. Dass wir eine Ausstellung zu Pierre Cardin machen wollten, lag daran, dass er in Deutschland sehr bekannt ist, es jedoch noch nie eine umfangreiche Präsentation seiner Damen- und Herren-Mode gab. Spannend ist, dass der in Paris lebende und immer noch aktive Couturier seit über 70 Jahren im Modebusiness tätig ist und damit länger als jeder andere bekannte Designer. Und je intensiver wir uns mit dem Thema beschäftigten, desto mehr haben uns die Visionen des Modeschöpfers, der inzwischen 97 Jahre alt ist, fasziniert. Eine Vielzahl bahnbrechender Ideen und richtungsweisender Innovationen prägten seinen Weg.
Die Schau bietet mit mehr als 80 Outfits und Accessoires sowie Fotos und Filmmaterial Einblicke in den Kosmos des international bekannten Modeschöpfers. Worauf liegt der Schwerpunkt der Ausstellung?
Wir zeigen die gesamte Bandbreite seiner Haute-Couture-Mode, von den 1950er bis in die 2000er Jahre. Der Schwerpunkt liegt allerdings auf den 60er und 70er Jahren. Das war die Zeit, wo er seinen internationalen Durchbruch hatte. Es ist die Zeit der Swinging Sixties, die ein neues Lebensgefühl, eine neue Jugendkultur hervorbringt, die sich massiv von der Lebensweise der etablierten Elterngeneration unterscheidet. Diese Andersartigkeit drückt sich besonders in der Mode aus – auch die Pariser Haute Couture wird kräftig durcheinandergewirbelt. Drei Designer beginnen damit, eine völlig neue Mode zu etablieren: Paco Rabanne, André Courrèges und Pierre Cardin. Ihr Markenzeichen: kurze Röcke, knallige Farben, extravagante Schnitte, synthetische Materialien wie Dralon, Vinyl, Perlon. Statt damenhafter Eleganz ist Jugendlichkeit das neue Schönheitsideal.
Womit hatte Pierre Cardin seinen Durchbruch?
Mit seinen futuristisch-visionären Entwürfen sowohl für Männer als auch für Frauen. Da ist etwa seine legendäre „Cosmocorps-Kollektion“, da sind seine bunten Kleider aus „Cardin“ – ein Material, das er neu entwickeln ließ, deshalb auch der Name. Und das seine Gestalt durch thermoplastische Formung erhielt. Da brauchte man weder Nadel noch Faden. Kombiniert mit Lack-Overknees aus Vinyl sieht das selbst heute noch sehr extravagant aus. Diese Kollektionen spiegeln auch das originäre Potenzial wider, das Cardins Stil über Jahrzehnte ausmacht. Mit seinen Farben, Schnitten und Materialien setzt er Trends, denen andere Couturiers folgen.
Wie hat Pierre Cardin den Mode-Stil der Männer beeinflusst?
Er war derjenige, der die Herrenmode revolutionierte. Wenn wir heute von Slim-fit-Anzügen sprechen, kommt uns als erstes Dior Homme in den Sinn. Pierre Cardin brachte schon 1960 eng anliegende, kragenlose Anzüge raus. Wir erinnern uns bestimmt noch an die Anzüge der Beatles, die es sogar auf ein Plattencover schafften. Auch dass Männer Ende der 60er-Jahre keine Hemden mehr zu den Sakkos trugen, sondern Rollkragen-Pullover – alles Ideen von Pierre Cardin.
Woher kommt sein großes Interesse an geometrischen Formen?
Pierre Cardin hatte ursprünglich den Traum, Architekt zu werden. Das hat sich auch in seinen Entwürfen niedergeschlagen. Wenn er Sachen entwirft oder schneidert, ist seine Herangehensweise eher skulptural. Er geht ähnlich wie ein Bildhauer vor. Er zeichnet wenig, sondern arbeitet direkt am lebenden Modell, gerne auch mit der Schere, um dort ein wenig zu kürzen oder mit raffinierten „Cutouts“ neue Akzente zu setzen.
Wie haben Sie die Ausstellungsstücke gefunden?
Meine Kollegin Maria Zinser und ich sind zu Recherchen nach Paris gefahren, wo es sowohl im mondänen Marais ein Pierre-Cardin-Museum gibt, als auch einen Flagship-Store gegenüber vom Élysée-Palast, dem Amtssitz des französischen Präsidenten. Alle Boutiquen Cardins liegen in den Nobelvierteln der Hauptstadt Frankreichs, wo natürlich die entsprechende Klientel für seine Mode lebt und bei ihm kauft.
Was war das Besondere an Pierre Cardin?
Neben seiner außergewöhnlichen gestalterischen Begabung, ist es sein ausgeprägter Geschäftssinn und besonders sein Mut, immer wieder innovative und unkonventionelle Wege zu beschreiten. Anders als Christian Dior und Yves Saint Laurent, die beide durch Mäzene mit viel Geld in der Modeszene unterstützt wurden, machte sich Pierre Cardin bereits 1950 aus eigener Kraft selbständig. 1958 eröffnete er seine erste Damen-Boutique und zwei Jahre später eine für Herren. Seiner Zeit weit voraus war der Designer, als er 1959 als erster Haute-Couture-Schneider im Pariser Kaufhaus „Au Printemps“ eine Prêt-à-Porter-Kollektion zeigte und somit exklusive Mode für ein breites Publikum erschwinglich machte. Es war immer eines seiner Hauptanliegen, Fashion weltoffen zu gestalten und allen Menschen zugänglich zu machen.
Vielen ist Pierre Cardin heute eher als Name für preiswerte Designer-Kleidung bekannt.
Pierre Cardin gilt als Meister der Vermarktung und hat schon sehr frühzeitig auch preiswerte Drittlinien für die breite Masse auf den Markt gebracht. Dazu gehört natürlich auch das Lizenzgeschäft. Mit den Einnahmen daraus hat er zum Beispiel seine Haute-Couture finanziert, aber auch verschiedene Kulturprojekte. Während andere Designer mit Raub-Kopien leben mussten, hat Pierre Cardin auf diese Weise seine eigenen Kopien vermarktet. Er hat frühzeitig Lizenzen in Amerika vergeben und dort einen Riesen-Markt erobert. Und der Erfolg gibt ihm recht. Sein Modehaus gehört weltweit zu den ganz wenigen, die noch unabhängig arbeiten, alle anderen sind inzwischen Teil großer Konzerne wie etwa LVMH. Das ist eine große Leistung, auf die er stolz sein kann.
Zu seinem Imperium, das sich heute über 180 Länder erstreckt, mehr als 800 Lizenzverträge umfasst und rund 200 000 Personen beschäftigt, gehören auch Hotels, Restaurants, Schlösser und Schiffe. Was können Sie über den Menschen Pierre Cardin sagen?
Es gibt eine einzige Biografie über Pierre Cardin. Er kommt aus bescheidenen Verhältnissen und war das jüngste von elf Kindern einer italienischen Einwandererfamilie, was man ihn im bourgeoisen Paris gerne spüren ließ, was ihm jedoch auch das nötige Durchsetzungsvermögen gab. Wenn er eine vertrauensvolle Verbindung zu bestimmten Menschen aufgebaut hat, dann ist auf ihn Verlass. Er kann aber auch äußerst autoritär sein. Fakt ist, mit seiner Art hat er großen Erfolg gehabt. Er geht heute noch jeden zweiten Tag in sein Unternehmen und schaut dort nach dem Rechten.
Hatte Pierre Cardin eine Muse?
Es wird sehr viel über seine Verbindung zu der Schauspielerin Jeanne Moreau kolportiert. Es muss eine tiefe Wertschätzung und enge Verbindung zwischen den beiden gegeben haben. Es ist auch in verschiedenen Quellen von einer großen Liebe die Rede.
Wie lange hat es gedauert, diese Exposition zusammenzustellen?
Wir haben vor mehr als einem Jahr angefangen, diese Ausstellung vorzubereiten. Dadurch, das unser Haupt-
leihgeber das Musée Pierre Cardin ist, war es etwas einfacher als bei anderen Projekten.
Gibt es im Kunstpalast weitere modeaffine Pläne für Düsseldorf?
Auf jeden Fall. Wir bereiten gerade die Ausstellung „Peter Lindbergh. Untold Stories“ vor. Das Besondere an diesem Projekt ist, dass der Modefotograf erstmals seine eigene Werkschau kuratieren wird und auch selbst den Audio-Guide konzipiert und bespricht. Start ist am 6. Februar.