Das kreative Rückgrat der Stadt
Düsseldorf ist eine Kunststadt. Das sieht man allerdings…
Die Düsseldorfer Malerin Ulrike Arnold sucht und findet Inspirationen auf allen Kontinenten. Ihre Bilder entstehen ausschließlich in freier Natur.
Je wilder und ungestümer das Wechselspiel der Natur, desto mehr fühlt sich Ulrike Arnold in ihrem Element. Die Düsseldorfer Künstlerin arbeitet ausschließlich unter freiem Himmel und am liebsten in vollkommener Einsamkeit. Überall dort, wo spektaku- läre Kulissen und faszinierende Materialien sie inspirieren, schlägt sie ihren Maltisch auf und macht sich ans Werk. Auf allen Konti- nenten. Manchmal breitet sie die Leinwände auch direkt auf dem Boden aus und überlässt sie Wind und Wetter.
Regen strömt über die Farben und vermischt sie mit Erde. Sturm wirbelt über Sand und zaubert spannende Strukturen in die Malerei. „Am nächsten Morgen sieht alles wieder ganz anders aus“, erzählt sie. „So ent- steht ein einzigartiges Abbild des jeweiligen Ortes.“ Seit über drei Jahrzehnten reist Ulrike Arnold um die Welt und spürt unberührte, mystische Landschaften auf, deren Essenz sie einzufangen ver- sucht. Gestalterisch – und auch ganz real. Ohne „Beute“ kommt sie nie nach Hause. Weiße Leinensäckchen mit Erdproben aus aller Herren Länder, dicht aneinandergereiht, sind ein Blickpunkt in ihrem Atelier. Ein offener, gastlicher Ort, Schauplatz vieler Feste. Ulrike Arnold ist eine begnadete Netzwerkerin, bringt mit über- bordendem Elan Kreative aller Sparten zusammen. Und genießt es am allermeisten, wenn daraus etwas Neues erwächst. „Ich mag es sehr, daheim zu sein, Freunde zu treffen und in das Kulturleben meiner Stadt einzutauchen“, sagt sie. „Bis meine Entdeckerlust die Oberhand gewinnt. Als neugieriges Wesen muss ich immer wieder aufbrechen. Das kann ganz spontan passieren.“
Seit 1998 verbringt die Malerin mehrere Monate im Jahr in ihrem abgeschiedenen Domizil in der Nähe von Flagstaff in Arizona. „Meine Hütte“, bemerkt sie und scheut nicht einmal die Schlangen, die sich hin und wieder hineinschleichen. Von ihrem Basis-Camp aus stapft sie los, mit Rucksack und großformatigen Leinwänden. Bis sie weiß: „Hier muss es passieren.“ Arizona ist die ideale Pforte für Expeditionen durch den Wilden Westen der USA, dessen im- posante Landschaften – etwa in Utah – sie seit jeher faszinieren. Später entdeckte Ulrike Arnold den Sog der chilenischen Atacama.
„Eine großartige Wüste voller bizarrer Formationen und Felsenbilder, mit beste- chend klarer Luft und einem unglaublichen Sternenhimmel“, schwärmt sie. Sie reist im- mer wieder in die Atacama, wochenlang. Und während sie sonst am liebsten alleine unterwegs ist, teilte sie die überwältigen- den Naturerlebnisse in Chile mit dem be- freundeten Fotografen Victor van Keuren. Eine Inspiration für beide. Er brachte spek- takuläre Drohnenaufnahmen mit, die in Düsseldorf in mehreren Ausstellungen zu sehen waren. Sie eine Serie neuer Bilder. Die Atacama war nicht Ulrike Arnolds ers- te Wüstenerfahrung, auch in der Sahara hat sie schon gemalt. Jetzt könnte sie die Wüste Gobi reizen. Oder der pazifische Raum: „Gern würde ich sehen, wo Gauguin gemalt hat.“ Aber wo sie schon überall war! In Marokko hat sie Erde im Atlas-Gebirge abgegraben. Auf den Osterinseln feuchte Baumrinde bemalt. In Indien ein Projekt fürs Goethe-Institut verwirklicht. Und wie mutig Ulrike Arnold ist. Vor vielen Jahren, als Handys noch ungebräuchlich waren, ließ sie sich mitten im australischen Busch absetzen.
Für zwei Wochen, ohne Kontakt zur Außenwelt. Die Vorräte hoch oben im Baum, aus Schutz vor wilden Tieren. Da hätte viel passieren können. Aber Angst kannte Ulrike Arnold noch nie. Auch neulich nicht in Mexiko, als sie, geführt von Indianern, im verwinkelten Höhlensystem der Cenoten an einem Seil rauf und runter kletterte, um Steine zu schürfen. Sie ist mit einem gesunden Urvertrauen gesegnet – in die Natur und in die Menschen, denen sie sich mit der gebotenen Sensibilität nähert. Und sie gerade des- halb für sich und ihre außergewöhnliche Kunst einnimmt.
In Museen und Galerien vieler Länder brachten Ulrike Arnolds Werke die Besucher zum Staunen. Hohe Aufmerksamkeit erregen vor allem ihre Bilder, die mit Meteoritenstaub veredelt sind. Das ist auch wieder so eine Geschichte, der man das Etikett „typisch Ulrike“ verpassen kann. Ein Forscher in Flagstaff, den sie bei einem Wissen- schaftskongress traf, hatte Zugang zu einem Meteoriten-Krater. Sie ließ nicht locker, bis er ihr zu diesem einzigartigen Material verhalf, dessen geheimnisvolles Glitzern sie dankbar nutzt. „Ich kam mir damals vor wie Sterntaler, musste nur meine Schürze aufhalten“, er- innert sie sich. Eine andere Variante ihrer Arbeit wird im „Amangiri Resort“ in Utah sichtbar. Das exklusive 5-Sterne-Luxushotel gehört dem Düsseldorfer Christoph Henkel. Er gab ihr die Möglichkeit, Lobby, Bar und Suiten mit ihrer Kunst auszustatten und ihre Bilder dort zu verkaufen. Entstanden sind sie ganz in der Nähe, an einem von den Indianern verehrten „heiligen Ort“. Das verschwiegene Amangiri-Hideaway, völlig im Einklang mit der Natur, wird wegen seiner Diskretion von vielen Prominenten geschätzt, die auf die- se Weise in Berührung mit den Werken von Ulrike Arnold kamen. Auch Hollywood-Star Dennis Hopper erwarb einst eines ihrer Bil- der. Nach seinem Tod kaufte sie es zurück.
Bei diesem immensen Schaffen konnte es nicht ausbleiben, dass die Künstlerin ins Visier von Filmschaffenden geriet. Es gibt neuerdings sogar einen Spielfilm über ihr Leben, gedreht von dem renommierten Regisseur Hank Levine. „Dialogue Earth“ wurde zu Jahresbeginn auf mehreren Festivals ge- zeigt und dabei auch ausgezeichnet. Die Musik, und hier schließt sich wieder ein Kreis nach Düsseldorf, steuerte der Kom- ponist Hauschka bei. Im Mai soll die Do- kumentation im „Weltkunstzimmer“ ihre deutsche Premiere feiern. „Die beiden letzten Jahre standen ganz im Zeichen des Films“, erzählt Ulrike Arnold. „Es war eine ungewöhnliche Erfahrung, mich auf Schritt und Tritt von einem Kamera-Team begleiten zu lassen.“ Es wurde auch eine Reise in die Vergangenheit, weil man sie gebeten hatte, eigenes Filmmaterial beizu- steuern. Wie gut, dass sie über ein großes Archiv verfügt, mit Aufnahmen aus Indien, Afrika, Australien, Nord- und Südamerika. „Bei den Dreharbei- ten musste ich an meine Grenzen gehen“, sagt sie. Denn es gab ein Hauptwerk, das sie in dieser Zeit vollenden wollte. „Das erste Bild, in dem ich Erde aus allen fünf Kontinenten zusammenfüge. Zweiteilig und riesengroß.“ Genauer: sieben Meter im Rechteck, dazu kommt ein Kreis mit zwei Metern Durchmesser. „Werden beide Formen senkrecht gehängt, ergeben sie ein Ausrufezei- chen“, erklärt Ulrike Arnold. „Das Bild hat Vorder- und Rückseite, so dass man es von beiden Seiten aus betrachten kann.“
Der Entstehungsprozess war harte Arbeit. „Eine enorme körperliche An- strengung. Ich bin ja ständig nur draußen. Da liegt diese riesige Leinwand auf dem Erdboden. Und da kriechst du dann rum, bist scharfen Winden, Sandstürmen, glühender Hitze und heftigen Gewittern ausgesetzt. Mit all dem musst du klarkommen.“ Ihre schönste Belohnung für den Kraftakt schien zum Greifen nah. Das monumentale Werk sollte im Foyer der Vereinten Nationen in New York ausgestellt werden. Im ersten Anlauf hat es nicht geklappt, der nötige einstimmige Beschluss aller Mitglieder kam nicht zustande. „Schade“, bedauert sie. „Das Bild symbolisiert, wie schön und friedlich man in unserer Welt miteinander leben könnte. Deshalb wäre dort der passende Platz dafür.“ Im nächs- ten Jahr gibt es eine neue Hoffnung für ihr „One World Painting“. Unterkriegen lässt sich Ulrike Arnold so schnell nicht.
Abenteuerlust verspürte sie schon als kleines Mädchen. Mit drei älteren Brüdern wuchs sie in Oberkassel auf. Ihr Vater war Pfarrer einer freikirchlichen Gemeinde, die Arnolds führten ein offenes Haus. „Es kamen häufig Missionare zu Besuch“, erzählt sie. „Sie berichteten von fernen Ländern, zeigten Bilder aus Brasilien oder Afrika. Das weckte meine Sehnsucht, die Welt zu ergründen.“ Aber noch war es nicht soweit. Ulrike Arnold wurde Lehrerin für Kunst und Musik. Bis sich nach Jahren des Unterrichtens eine Unruhe in ihr ausbreitete und es sie immer stärker zu eigener Kunst drängte. An der Düsseldorfer Akademie studierte sie bei Klaus Rinke und wurde dessen Meisterschülerin. Für ihre Diplomarbeit über prä- historische Höhlenmalerei fuhr sie 1979 wissbegierig in die Pro- vence und hatte inmitten von ockerfarbenen Steinbrüchen ihre Erleuchtung. Was, wenn sie Erde und Farbe, diesen Schatz der Natur, für ihre Kunst nutzen und damit experimentieren würde? Rinke machte ihr Mut. Nach dem Akademie-Abschluss vertraute sie ganz und gar darauf, ihre künstlerischen Visionen umzuset- zen. Ein zweites Leben begann, voller Leidenschaft und Energie. Ein Geschenk.