„Wir müssen uns dem Konkurrenzkampf stellen“
Auf die Frage, wie die ersten Wochen im…
DER NEUE LUXUS
Die Deutschen lieben Bier. Am meisten Pils. Doch seit ein paar Jahren mischt Craft-Beer den Markt auf. Meist wird es nur in kleineren Mengen produziert. Seine Stärke ist sein Geschmack. Und seine Vielfalt. Konsequenterweise stellt auch die große internationale Fachmesse ProWein 2019, die vom 17. bis 19. März in Düsseldorf stattfindet, die Produktpalette der Craft-Drinks in den Mittelpunkt.
Was bekommt man, wenn man Bier und Limo mischt? Eine aufs Maul.“ Der Spruch prangt auf einer Tafel im Holy Craft Beer Store an der Friedrichstraße in Unterbilk. Er zeigt, was eingefleischte Bierliebhaber von den Experimenten großer Brauereien halten: nicht allzu viel. Es ist nicht so, dass die deutschen Brauereien grundsätzlich schlechtes Bier brauen würden. Im Gegenteil, sie können sogar stolz sein auf ihr Handwerk. Es existiert kein alkoholisches Getränk, das die Deutschen lieber trinken – jedes Jahr etwa acht Milliarden Liter. Allein in Deutschland werden etwa 5.000 bis 6.000 Biere gebraut. Mehr als die Hälfte trinkt Pils, gefolgt von Mix-Getränken und Weizen-Bier. So weit, so langweilig. Das Verlangen nach Abwechslung war groß. Und genau in diese Lücke fließt das sogenannte Craft Beer. Doch was ist das eigentlich?
Seinen Ursprung hat es in den USA. In einem Land, in dem Biertrinker jahrzehntelang mit industrieller Plörre abgefüllt wurden. Jedenfalls konnte von echtem Biergenuss keine Rede sein. Um das zu ändern, fingen junge Brauer damit an, kleine, aber feine Biere herzustellen, die „craftet“ sein sollten, also mit handwerklichem Können hergestellt. Eine Kunst für sich. Überflüssig zu erwähnen, dass das Brauen in Deutschland immer schon ein Handwerk war. Ein ziemlich altes sogar, über tausend Jahre. Hier ist eigentlich jedes Bier „craftet“, das nicht aus einer industriellen Fertigung stammt. Trotzdem kam deutsches Bier lange Zeit ohne das Etikett Craft Beer aus. Düsseldorfer Hausbrauereien wie Füchschen, Zum Schlüssel oder Uerige verweisen zu Recht darauf, dass sie seit jeher nichts anderes herstellen als handwerklich gut gebrautes Bier. Inzwischen ist jedoch ein ziemlicher Hype um das Thema entstanden. Craft-Beer-Brauereien schießen wie Pilze aus dem Boden. Um die 250 dürften es mittlerweile allein in Deutschland sein. Und es gibt Tausende Sorten.
Etwa 300 finden sich in dem Holy Craft Beer Store von Thorsten Kulmann und Sebastian Knepper. In ihren Regalen stehen Bierflaschen aus aller Welt – fein säuberlich aufgereiht wie in einer gut sortierten Weinhandlung. Einen Großteil machen Biere aus den USA und Kanada aus. Kulmann studierte Betriebswirtschaft in den USA, in Pennsylvania, um genau zu sein, und fand das Bier dort „einfach schrecklich“. Bis er ein Sam Adams in die Finger bekam und dachte: „Bier kann ja richtig lecker sein.“ Das war um die Jahrtausendwende. Er besuchte die Church Brewery, eine alte Kirche, die zu einer Brauerei umgebaut wurde, mit großen Biertanks an den Wänden, und wusste sofort: Das! Will! Ich! Auch! Später, als er als Backpacker in Australien unterwegs war, lernte er verschiedene Mikrobrauereien kennen. Kulmann war angefixt. Diese Vielfalt. Diese Geschmacksexplosion. Doch in Deutschland, das berühmt ist für seine Bierkultur, mahlen die Mühlen langsam.
In Sebastian Knepper, einem alten Bekannten, der große Restaurants wie das in der Skihalle Neuss geleitet hat, fand er einen Geschäftspartner, der genauso tickte wie er. Gemeinsam träumten sie von einer eigenen Bar, in der es Craft Beer vom Fass geben sollte. Doch die Suche nach einem geeigneten Lokal gestaltete sich schwierig. Also eröffneten sie zunächst den Laden. Stellten eine braune Ledercouch ins Schaufenster. Bastelten einen Tisch und ein paar Hocker aus Bierkästen zusammen, drehten die Musik auf und legten los. Mit dem Begriff Craft Beer sind die beiden bis heute nicht richtig warm geworden. Lieber sprechen sie von Kreativbier oder von einem geschmacksintensiven Bier. Von hochwertigen Zutaten. Und einer Abkehr von industriellen Methoden. „Craft Beer ist auf einer Augenhöhe mit Wein“, sagt Kulmann. „Das sind alles keine Biere, von denen man zehn Stück am Abend trinkt.“ Das ginge auch ins Geld, denn eine Flasche Craft Beer kostet im Schnitt das Dreifache, das ein Industriebier kostet. Dafür bekommen die Konsumenten aber auch etwas geboten: Es gibt schokoladige Biere, salzige, saure, grasige und fruchtige. „Der Unterschied zum industriell produzierten Bier lässt sich schmecken und riechen“, ist Kulmann überzeugt. Für ein Craft Beer werde besserer, nicht so bitterer Hopfen verwendet, und das mache sich bemerkbar.
Die Flaschen in ihrem Store haben so bunte Etiketten wie die Geschmäcker verschieden sind: Es gibt „Nest White Ale“ von Hitachino aus Japan, „Little Creatures“ aus Australien oder die Mutter aller Craft Beers: das helle, obergärige „Pale Ale“ von Sierra Nevada aus den USA. Kaum vertreten sind Biere aus Afrika, Südamerika oder Asien, einfach, weil es dort entweder nur sehr wenige Craft-Beer-Brauereien gibt oder das Bier nicht exportiert wird. Aber der Trend geht sowieso in Richtung Regionalität. Da ist zum Beispiel Onkel-Bier aus Düsseldorf: Onkel Herbert, Onkel Albert, Onkel Jupp. Phillip Roberts, der sich vor 16 Jahren selbst das Brauen beibrachte, hatte die Idee, Biere zu entwickeln, die es noch nicht gibt oder die aus der deutschen Bierlandschaft verschwunden waren. Onkel Herbert zum Beispiel ist eine fruchtig-frische Rhabarber-Weisse mit einem Alkoholgehalt von 4,4 Volumenprozent. Deutlich stärker ist Onkel Albert, ein herb-aromatisches Saisonbier mit 5,8 Volumenprozent. Brauen lässt er seine Biere in Belgien. Dort könne er seiner Fantasie und Kreativität freien Lauf lassen. In Deutschland wäre er an das Reinheitsgebot gebunden.
In friedlicher Absicht sind Hans Berlin und Matthias Ross an das Thema herangegangen. Sie wollten ein Bier kreieren, das den Streit zwischen den beiden Städten Köln und Düsseldorf ein für alle Mal beilegen könnte. Denn während in der Domstadt nicht nur Kölsch gesprochen, sondern auch getrunken wird, trinkt die Landeshauptstadt lieber Alt. Was also tun? Mit Braumeister Henning Barkey wurde an einem Bier getüftelt, das im Glas bernsteinfarben schimmert, süffig ist wie ein Kölsch und gleichzeitig würzig wie ein Alt. „Költ“ nennt sich der städteverbindende Gerstensaft, der nicht zufällig in Monheim gebraut wird – die Stadt liegt am „Rheinischen Äquator“, der Grenze zwischen Köln und Düsseldorf.
Auch der Uerige hat sein eigenes Craft Beer auf den Markt gebracht. Seit 2005 brauen die Düsseldorfer ein spezielles Starkbier für den amerikanischen Markt. Die sogenannte Doppel-Sticke hat 8,5 Prozent Alkoholvolumen und überrascht mit Anklängen an dunkle Schokolade und Rum. Kulmann hatte zum Weihnachtsgeschäft die Edition 1862 in seinem Laden stehen. Lediglich zwölf Flaschen hatte er von dem streng limitierten und durchnummerierten Gerstensaft bekommen. Das Stück (0,375 Liter) für 27,50 Euro. Ein echtes Schätzchen. „Wir haben uns ein Fläschchen davon an Heiligabend gegönnt“, erzählt er.
Seit knapp zwei Jahren gibt es an der Lieferstraße 11 in der Altstadt nun einen Ort, wo man ein leckeres Craft Beer mit Freunden genießen kann: Etwas abseits gelegen von der längsten Theke der Welt, untergebracht in einem denkmalgeschützten Haus von 1881, gleich neben der Pinte, hat Holy Craft eine Bar eröffnet, an dem jeden Abend rund 90 Flaschenbiere und zwölf Craft-Biere vom Fass serviert werden. Beliebt sind die sogenannten Flights, bei denen man fünf Biere vom Fass probieren darf. Dazu wird ein Glas Wasser gereicht. Getrunken wird von leicht-hell bis schwer-dunkel. So viel Ordnung muss sein. „Sonst verdirbt man sich den Geschmack“, sagt Kulmann.
Craft-Drinks sind das große Thema in der trendigen Gastro- und Barszene weltweit. Unabhängig davon, ob Spirituosen, Bier oder Cider – stets steht der kreative, qualitätsbewusste Umgang mit den natürlichen Rohstoffen im Fokus. Konsequenterweise stellt auch die große internationale Fachmesse ProWein 2019, die vom 17. bis 19. März in Düsseldorf stattfindet, die Produktpalette der Craft-Drinks nach der erfolgreichen Premiere im letzten Jahr wieder in den Mittelpunkt. In der Sonderschau „same but different“ präsentieren rund 100 Aussteller aus 22 Ländern ihre handverlesenen Craft-Spirituosen, Craft-Biere sowie Cider.
Zweimal im Monat veranstaltet Holy Craft Beer zweieinhalbstündige Tastings im Store an der Friedrichstraße 79. Sie kosten 35 Euro pro Person. Acht verschiedene Biere gibt es zu kosten. Dazu viele Infos – über Stile und Brauverfahren, Zutaten, Geschmacksrichtungen und das Reinheitsgebot. Termine: 12. April (19 Uhr), 18. Mai (17 Uhr), 14. Juni (19 Uhr). www.holycraft.de
„EIN GUTES BIER MACHT IMMER LUST AUF EIN ZWEITES“
Die Düsseldorfer Hausbrauerei „Zum Schlüssel“ zählt sich selbst zu den Craft-Beer-Brauereien. Top Magazin sprach mit Braumeister Dirk Rouenhoff, der einer von 1300 Diplom-Biersommeliers ist, die in dem gleichnamigen Verband in Deutschland organisiert sind.
Top Magazin: Wie wird man Diplom-Biersommelier?
Dirk Rouenhoff: Durch den Besuch eines Lehrgangs. In meinem Fall waren das zwei Wochen Vollzeitunterricht: eine Woche in der Akademie Doemens in Gräfelfing bei München und eine Woche im Bierkulturhaus im österreichischen Obertrum. Da es nicht viele dieser Lehrgänge gibt und die Nachfrage sehr hoch ist, muss man sich schon weit im Voraus anmelden.
Woraus bestand die praktische Prüfung?
Ein Bier musste sensorisch ausführlich beschrieben werden. Zusätzlich bekommt man Biere, die mit Fehlaromen bestückt sind. Diese gilt es zu erkennen und zu beschreiben.
Sind Sie dichterisch veranlagt?
Das muss man zum Glück nicht sein. Es gibt eine Vielzahl von Begriffen, um die Sensorik eines Bieres zu beschreiben. Wie umfangreich dieser Wortschatz ist, zeigt die Tatsache, dass es beim Wein zirka 800 bis 900 verschiedene Aromen gibt – beim Bier über 2500.
Können Sie uns einen Eindruck Ihres Könnens geben und zum Beispiel das bei Schlüssel gebraute Weihnachtsbier „Hopfen Symphonie“ beschreiben?
Geruch: Dominate Komposition aus Zitrusdüften von Grapefruit, Maracuja und Mandarine. Im Hintergrund sind die aus dem Röstmalz resultierenden Karamellnoten wahrnehmbar. Farbe: Bernsteinfarben / Haselnussbraun. Geschmack: Harmonisches Zusammenspiel von Zitrusnoten, Kieferaromen und dem altbiertypischen Karamell-Bukett. Vollmundiger, ausgeprägter Körper mit einer edlen und nicht nachhängenden Bittere. 2018 konnten wir aufgrund von Umbauarbeiten in der Brauerei das Bier nicht brauen. Für dieses Jahr ist das aber wieder fest eingeplant.
Stimmt der Spruch: „Bier auf Wein, das lass sein – Wein auf Bier, das rat ich dir“?
Dieser Spruch stimmt nur bedingt, und soviel ich weiß, ist er historisch begründet. Bier war früher das Getränk des Volkes und Wein das Getränk der besseren oder wohlhabenderen Leute. Wenn man also erst Bier und dann Wein getrunken hat, dann bedeutete das einen gesellschaftlichen Aufstieg. Wenn man aber erst Wein trank und dann das Geld nur noch für Bier reichte, dann war das eher ein gesellschaftlicher Abstiegt. Dazu konnte man natürlich niemandem raten.
Es gibt Musiker mit absolutem Gehör. Haben Sie den absoluten Geschmack?
Nein, sicher nicht. Die meisten Menschen besitzen rund 2.000 Geschmacksknospen im Mundraum. Etwa zehn Prozent der Bevölkerung besitzen bis zu 4.000. Diese Menschen haben sicher einen Vorteil, müssen aber das Erkennen und Beschreiben von Geschmäckern auch lernen und trainieren.
Schmeckt der Laie überhaupt einen Unterschied zwischen Craft Beer und einem sogenannten Einheitsbier?
Nicht unbedingt. Hier muss man zuerst über den Begriff „Craft Beer“ als solchen sprechen. Für viele Leute ist ein Craft Beer ein sehr stark gehopftes oder gar kalt gehopftes Bier, wie zum Beispiel ein IPA. Diese Biere zeichnen sich häufig durch extreme und vielfältige Hopfenaromen aus, bieten aber keine hohe drinkability. Wir bei Schlüssel werden häufig gefragt, ob wir Craft Beer machen. Dabei machen wir seit 1.850 nichts anderes. Wir brauen handwerklich qualitativ hochwertiges Bier. Denn das beschreibt der Begriff Craft Beer ja letztendlich. Ob man einen Unterschied schmeckt, kann nur jeder Verbraucher für sich entscheiden.
Was macht ein gutes Craft Beer für Sie aus?
Für mich besitzt ein gutes, handgemachtes Bier ein breites, aber fein aufeinander abgestimmtes Aromaspektrum, das aus verschiedenen Spezialmalzen resultiert. Die Hopfennote sollte fein und edel sein, aber zu keiner Zeit aufdringlich oder gar nachhängend. Ein gutes Bier macht immer Lust auf ein zweites und ein drittes.
Was ist das teuerste Craft Beer, das Sie je getrunken haben?
„Utopia“ von Samuel Adams. Es hat 28 Prozent Alkoholvolumen, und die Flasche sieht aus wie ein kleiner Sudkessel. Ein Flasche kostet um die 190 Euro.
Ist es sein Geld wert?
Sagen wir so: Die Erwartungen waren hoch, und ich wurde nicht enttäuscht. Es gibt die abenteuerlichsten aromatischen Kreationen. Sind der Kreativität Grenzen gesetzt? In Deutschland gilt: Erlaubt ist, was das Reinheitsgebot hergibt. Und im Ausland ist alles erlaubt, was dem Verbraucher schmeckt. Auch in Deutschland gibt es trotz Reinheitsgebot abenteuerliche Biere. Wer zum Beinspiel schon einmal in Bamberg ein Rauchbier getrunken hat, weiß, wovon ich rede.