Das kreative Rückgrat der Stadt
Düsseldorf ist eine Kunststadt. Das sieht man allerdings…
Wilfried Schulz startet mit frohen Erwartungen in die neue Saison. Trotz der Baustelle wird das Theater am Gustaf-Gründgens-Platz wieder mehr bespielt. Damit will der Intendant des Schauspielhauses ein Zeichen setzen.
Das weiße Schauspielhaus am Gustaf-Gründgens-Platz ist mit Plastikfolie umhüllt und bietet derzeit noch einen kläglichen Anblick. Drinnen stolpert man über Zementsäcke, überall wuseln Handwerker herum. Und doch sagt Wilfried Schulz: „Das Bohren, Hämmern und Baggern ist Musik in meinen Ohren. Wir sind da und es geht voran!“ Ende August bezog der Intendant sein Büro, erstmals seit seinem Antritt vor zwei Jahren. Auch Verwaltung, Schneiderei und andere Gewerke sind inzwischen zurückgekehrt. Trotz der riesigen Baustelle vor der Tür ist das Schauspielhaus wieder mit Leben erfüllt. Bereits in der vorigen Saison wurde es für die grandiosen musikalischen Produktionen „Der Sandmann“ und „Lazarus“ genutzt, alle 50 Aufführungen waren ausgebucht. Damals hatte Wilfried Schulz sich vorgenommen: „Wir haben jetzt einen Fuß in der Tür, und den nehmen wir nicht wie der heraus. Notfalls klettern wir hinein.“
In der neuen Spielzeit wechselt auch „Die Dreigroschenoper“ vom Central an den Gustaf-Gründgens-Platz. Im Großen Haus sind weitere Neuproduktionen geplant, rund 100 Vorstellungen soll es dort in 2018/19 geben. Der Eingang auf der Hofgartenseite wird vorerst beibehalten. „Auch wenn es ein Provisorium bleibt und uns sicher manches auf die Nerven gehen wird – es ist uns wichtig, ein Zeichen zu setzen“, bekräftigt der Intendant. „Ich finde es gar nicht schlecht, dass die Düsseldorfer mitkriegen, was in diesem Haus mit großer Mühe und hohem Aufwand passiert. Es ist ja auch ihr Geld, das hier verbaut wird.“
Im Central war das Publikum durchaus bereit, kleine Fehler zu verzeihen und gemeinsam mit dem Ensemble und der Technik gewisse Einschränkungen auf sich zu nehmen. Tatsächlich entwickelte sich dadurch ein besonderer Zusammenhalt. Die Auslastung von glatten 85 Prozent (in D´haus, Jungem Schauspiel und Bürgerbühne) spricht für sich und ist trotz aller Widrigkeiten die beste seit 20 Jahren. „Es sind nicht nur die Zahlen, an denen sich das messen lässt“, betont Wilfried Schulz. „Man spürt die Wärme und die Umarmung der Zuschauer und ihre große Lust an diesem Theater, das ja für sie gedacht und gemacht ist. Wir haben ein freundschaftliches Verhältnis und sind neugierig aufeinander.“ Was ganz entscheidend an ihm liegt, so präsent, offen und kommunikativ, wie er ist.
Bei aller Freude über die Rückkehr: Das Central, wo sich Probebühnen und Werkstätten befinden, ist vielen auch als Spielstätte ans Herz gewachsen. So nah wie auf der Foyerbrücke, dem Treffpunkt nach den Vorstellungen, kam man den Schauspielern sonst nie. „Wir wollen dem Publikum das Haus nicht völlig entziehen“, verspricht Wilfried Schulz, „es gibt Pläne, es für junge Zuschauer zu nutzen. Dazu dürfte uns etwas einfallen, zumal künftig der ganze Gürtel um den Hauptbahnhof aufgewertet wird.“ Dass Stadtbibliothek und FFT sich dort etablieren und das Tanzhaus nicht weit ist, findet er toll. „Genau wie die kunterbunte Mischung aus einer leicht exotischen Restaurantszene und niederschwelligen Kulturangeboten. Wir müssen Flagge zeigen für interkulturelle Begegnungen.“
Wilfried Schulz hat es genial verstanden, die schwierigen Bedingungen seiner bisherigen Intendanz in beispiellose Erfolge umzumünzen. Dazu gehörte die bereitwillige Öffnung des Theaters, das Suchen und Finden von kreativen Wegen in die Stadt. Neue Spielstätten wurden entdeckt: ein Zirkuszelt, das Dreischeibenhaus für das experimentelle Projekt „Die dritte Haut“, die Sammlung Philara für das Kunst-Stück „Jeff Koons“. Die Lessing-Inszenierung „Nathan to go“ zog mit ihrem Toleranz-Appell gleich an drei Orten das Publikum an. Innerhalb einer Woche gab es eine Premiere in der Bunkerkirche, der jüdischen Synagoge und in einem muslimischen Festsaal. „Nicht wenige haben die Aufführung überall gesehen“, berichtet Schulz. „Das Ausschwärmen in die Stadt erregte viel Aufmerksamkeit und wurde als große Geste betrachtet. Wir werden diese offensive Vernetzung fortführen, auch wenn sie extrem aufwändig ist.“ Bürgerbühne und Café Eden (immer montags im Foyer des Jungen Schauspiels) trugen ebenfalls dazu bei, ein neues Publikum zu erschließen. Und manchmal zieht es das Ensemble auch über die Grenzen der Stadt hinaus. Gastspiele führten es nach Hamburg oder Zürich. Aber „Der Sandmann“ von Robert Wilson übertrifft alles. Im Sommer wurde das poetische Pop-Märchen drei Mal in Antwerpen gezeigt und von der Kritik als „die beste Aufführung, die es in Belgien dieses Jahr zu sehen gab“ geadelt. Im November ist die Inszenierung für eine Woche nach Shanghai eingeladen.
Da hat dann das Theaterschiff in Düsseldorf schon längst wieder Fahrt aufgenommen. Die Spielzeit, die am 14. September beginnt, weist einige Produktionen mit starken Bezügen zur Gegenwart auf. Als erste Premiere geht „Menschen im Hotel“ richtungsweisend im Schauspielhaus über die Bühne. Sönke Wortmann führt Regie, Stephan Kaluza schrieb die Fassung nach dem Roman von Vicki Baum. „Eine Metapher für Unbehaustheit, für eine Zwischenstation in unruhigen Zeiten mit zugespitzter sozialer Härte“, umreißt Wilfried Schulz. „Themen wie Verlorenheit, Liebe und die Sehnsucht nach Geborgenheit werden angesprochen. Jedes ins Auge gefasste Ziel kommt den Menschen auf merkwürdige Weise wieder abhanden.“ Auch „Das Schloss“ nach Kafkas Roman passe mit seiner Suche nach Identität in diesen Zusammenhang. Mit „Bilder einer großen Liebe“ wird Wolfgang Herrndorfs unvollendetes Manuskript (eine Fortsetzung von „Tschick“) in der Bearbeitung von Robert Koall dramatisiert. Auch Klassiker wie „Don Karlos“, „Der zerbrochne Krug“ oder „Peer Gynt“ bereichern den prallen Spielplan. „Vielfalt, Offenheit und Neugier sind mir wichtig“, sagt der Intendant, „wir wollen ja nicht nur mit einer Farbe malen.“