„Wir müssen uns dem Konkurrenzkampf stellen“
Auf die Frage, wie die ersten Wochen im…
Der 5. Düsseldorfer Männerkongress lädt unter dem doppelbödigen Titel „Männer.Macht.Therapie“ zu wissenschaftlichen Vorträgen und Diskussionen ein.
Der Mythos vom „starken Geschlecht“ hat ausgedient. Tatsächlich sind es die Männer, die schwächeln. Zumindest, wenn es um die Lebenserwartung geht, denn Frauen sterben im Schnitt fünf Jahre später. Laut Statistik haben neugeborene Mädchen 83 Jahre vor sich, neugeborene Jungen nur 78. „Vergleicht man die Oberschichtfrau und den Unterschichtmann, beträgt der Unterschied sogar 15 Jahre“, erläutert Prof.
Matthias Franz vom Klinischen Institut für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Heinrich-Heine-Universität. Er gehört zu den Organisatoren des „Männerkongresses“, der alle zwei Jahre in Düsseldorf stattfindet. Das diesjährige Tagungsthema „Männer.Macht.Therapie“ ist bewusst doppelbödig gewählt. „Wir leben in schwierigen Zeiten“, sagt Prof. Franz. „Offensichtlich treten beim Männerbild wieder archaische, machtorientierte und autoritäre Muster zu Tage. Man denke nur an die zunehmende Zahl der Autokraten in der internationalen Spitzenpolitik.“ Ähnliche Phänomene lassen sich in der Jugendkultur beobachten, etwa beim Hip-Hop, bei gewaltnah agierenden Fußballfans oder religiös motiviertem Fanatismus.
„Der Titel unseres diesjährigen Männerkongresses spielt ein bisschen mit der Frage, ob angesichts wachsender Verunsicherungen der Rückgriff auf autoritäre Erscheinungsformen von Männlichkeit wirklich eine realistische Option darstellt oder nicht vielleicht auch Psychoanalyse und Psychotherapeuten wichtige Einsichten und Lösungsbeiträge vermitteln können“, gibt Professor Franz zu bedenken. „Zum Glück nehmen Männer heute zunehmend entsprechende Angebote an.“
Die Retraditionalisierung des Männerbildes, die man längt überwunden glaubte, spiegelt tiefer liegende Ängste und Verunsicherungen wider. Sie sind Ausdruck einer wachsenden Bedrohung durch Klimawandel, Digitalisierung, Wirtschaftskrisen, Migration und der Suche nach Stabilität und Identität. „Um damit entspannt und faktenbasiert umzugehen, bedarf es schon einer selbstsicheren, kritik- und empathiefähigen Persönlichkeit“, sagt der Wissenschaftler. „Wenn aber die Bevölkerung mit wachsenden Problemen und fehlenden Lösungsangeboten konfrontiert wird, die rund um die Uhr in die Seele geimpft werden, führt diese diffuse Verunsicherung schnell zu Angst und grob geschnitzten Lösungen. Da kommt dann der Ruf nach Sicherheit, Schutz und Ordnung auf – alles Attribute eines traditionell-patriarchalischen Männerbildes.“
Am 21. und 22. September versammeln sich beim „Männerkongress“ Therapeuten, Pädagogen, Institutionen und interessierte Männer – und natürlich auch Frauen – zu wissenschaftlichen Fachvorträgen, Diskussionen und Austausch. Bei der Gründung der Düsseldorfer Reihe vor einem Jahrzehnt habe es noch kein ausgeprägtes gesellschaftliches Bewusstsein für medizinische, emotionale und soziale Benachteiligungen bei Männern gegeben, erklärt Professor Franz. „Wir mussten damals interessanterweise sogar erleben, dass sich Demonstrantinnen einfanden, die den Kongress verhindern wollten. Man hat uns restaurative hegemoniale Männlichkeit vorgeworfen.“
Dabei habe es zumindest drei triftige Gründe gegeben, die Veranstaltung ins Leben zu rufen. Zum einen die Vernachlässigung der männlichen Gesundheit durch fehlende Vorsorge und selbstschädigende Lebensweise (Rauchen, Alkohol). Zweitens sei es Männern immer schwerer gefallen, sich zu orientieren, weil es in ihrer Biografie in früheren Jahren kaum positive Rollenvorbilder gab. „Es fehlten das Vater- und Großvatermodell“, führt der Professor aus. Viele junge Männer sind deshalb den komplexen Anforderungen einer hochmobilen Leistungsgesellschaft nicht gewachsen. Der dritte Grund: „Die Jungs waren und sind die Bildungsverlierer. Bestes Beispiel ist das Medizinstudium, bei dem mittlerweile fast 70 Prozent der Studienanfänger weiblich sind. Das liegt nicht an mangelnder männlicher Intelligenz, sondern unter anderem auch an den schulischen Strukturen, mit denen Mädchen in der Regel offensichtlich besser zurechtkommen.“
Es wäre bitter nötig, dass die Männer aus eigenem Interesse aktiv werden.
Nun sind aber zehn Jahre ins Land gezogen seit dem ersten „Männerkongress“. Hat sich denn gar nichts geändert? „Doch“, bestätigt Matthias Franz. „Das Schwarzweißdenken im Bereich der Geschlechterrollen hat sich etwas aufgelockert und es wird immer mehr Menschen klar, dass es nur mit wechselseitiger Wertschätzung und Verständnis geht. Davon profitieren auch die Kinder, die mit einem besseren Vaterbild aufwachsen.“ Dafür sei das Problem der Trennungen größer geworden, der Auflösung von Familien mit leidvollen Folgen: „Die Partner streiten, anstatt das Wohl ihres Kindes im Blick zu haben.“ Prof. Franz betont ein besonderes Merkmal des Düsseldorfer Kongresses: „Wir sitzen in keinem wissenschaftlichen Elfenbeinturm und verstecken uns nicht mit unseren Erkenntnissen vor der Gesellschaft. Darum suchen wir uns für jeden Männerkongress auch immer einen Praxispartner.“ In diesem Jahr ist die Evangelische Kirche im Rheinland in das Programm eingebunden. „Auch wenn wir gerade in den Medien wieder Schreckliches zur Misshandlung von Kindern in kirchlichen Organisationen zur Kenntnis nehmen mussten, finde ich es bemerkenswert, wie viel gute Männer- und Väterarbeit in den Kirchen geleistet wird“, sagt der Professor. „Die Politik macht hier immer noch deutlich zu wenig.“
Trotz mancher Verbesserungen kommen Experten zu dem Schluss, dass die Männergesundheit hierzulande noch keinen angemessenen Stellenwert habe. „In Versorgung und Prävention ist das Geschlecht generell schlecht abgebildet und immer noch unterschätzt“, sagt der Psychologe Thomas Altgeld und verweist auf etablierte nationale Gesundheitsprogramme in Ländern wie Australien, Kanada und Irland. Die Sensibilisierung für die männlichen Bedürfnisse müsse bei den Gesundheits-, Sozial- und Bildungsberufen ansetzen, fordert er. Besonders bei Präventionsangeboten sei der Zugriff des Medizinsystems auf Frauen direkter. Dem Brustkrebs-Screening steht zum Beispiel kein Pendant bei der Prostata-Früherkennung gegenüber. Vor allem aber beklagt Thomas Altgeld eine Vernachlässigung der psychischen Gesundheit von Männern. „Hier gibt es im Gegensatz zu anderen Ländern bisher nur wenige Erkenntnisse darüber, wie man Depressionen oder Burnout vermeiden und frühzeitig intervenieren kann.“
80 Prozent gehen nicht zur regelmäßigen Vorsorge
Allerdings wäre es bitter nötig, dass die Männer ihrem Wohlergehen zuliebe schon aus eigenem Interesse aktiv werden. Einige alarmierende Fakten, ermittelt von der Deutschen Gesellschaft für Mann und Gesundheit e.V.: 80 Prozent gehen nicht zur regelmäßigen Vorsorge. Die Zahl der Diabetes-Patienten ist bei Männern fast doppelt so hoch wie bei Frauen. Männer zwischen 40 und 50 Jahren bekommen fünf Mal häufiger einen Herzinfarkt als Frauen. Die Selbstmordrate der Männer übersteigt die der Frauen mindestens um das Dreifache (insgesamt aber sind Männer nicht seltener psychisch krank als Frauen). Zum Tabuthema Erektionsstörungen kursiert die Zahl, dass bis zu sechs Millionen Männer betroffen sind. Die „erektile Dysfunktion“ wird von Betroffenen auch heute noch schamhaft verschwiegen. Dabei lassen sich Potenzstörungen in vielen Fällen beheben. Sie stellen nicht nur ein seelisches Problem dar, sondern können auch schwerwiegende gesundheitliche Folgen haben. Studien beweisen: Verstopfte Penisgefäße weisen auf verstopfte Herzkranzgefäße hin, etwa sechs Jahre nach den ersten Erektionsproblemen ist das Risiko eines Schlaganfalls oder Herzinfarkts groß. Ärzte mahnen deshalb nicht von ungefähr: „Mann, lass dir helfen!“
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