Begeistert für Düsseldorf
Warum brauchte es 1989 einen Zusammenschluss wie die…
Vor 60 Jahren wurde die Stunde Null der Nachkriegskunst ausgerufen: Otto Piene, Heinz Mack und Günther Uecker gründeten die internationale Künstlergruppe Zero. Ihr Atelierhaus an der Hüttenstraße wurde zur Kultstätte. Nun ist die Zero Foundation dort eingezogen.
Vor 60 Jahren wurde die Stunde Null der Nachkriegskunst ausgerufen: Otto Piene, Heinz Mack und Günther Uecker gründeten die internationale Künstlergruppe Zero. Ihr Atelierhaus an der Hüttenstraße wurde zur Kultstätte. Nun ist die Zero Foundation dort eingezogen.
Wenige Meter entfernt von der Bahnunterführung, zwischen Kiosk, Reinigung und dem griechischen Restaurant „Mythos Lammhaus“ fällt das schwere, weiße Eisen-Tor mit den großen, schwarzen Lettern Zero direkt ins Auge. Hier also, im unscheinbaren, viergeschossigen Hinterhofhaus an der Hüttenstraße 104, war in den 1960er Jahren ein Hotspot der Kunst. Heute weltberühmte Künstler wie Robert Rauschenberg, der Vater der Pop Art, Verpackungskünstler Christo, der Tänzer und Choreograf Merce Cunningham machten in dem Atelierhaus Station, veränderten die Kunstwelt und feierten viele Partys, wenn sie Ausstellungen in Düsseldorf vorbereiteten. Die kreative Avantgarde war zu Gast bei Otto Piene, Günther Uecker und Heinz Mack, den prominentesten Vertretern der vor sechs Jahrzehnten gegründeten Künstlergruppe Zero. Nach aufwendiger, mit Hilfe von Sponsoren finanzierter, eine halbe Million teurer Kernsanierung, ist vor einigen Wochen Barbara Könches, Geschäftsführerin der 2008 gegründeten privaten Zero-Foundation, mit ihrem Team vom ehemaligen Domizil im Medienhafen in das Backsteingebäude eingezogen. Hier wird nun alles rund um Zero, Texte, Artikel, Fotografien, Flyer, Bücher und vieles mehr archiviert und digitalisiert.
Doch erst einmal zurück zu den Anfängen, denn das 1911 erbaute Haus birgt einen einmaligen Schatz an kunsthistorischen Geschichten. Günther Uecker – heute 88 Jahre alt – hatte die hohen Räume einer ehemaligen Möbelfabrik 1961 angemietet. Dann kam Mack (87) dazu, 1966 folgt Piene. Als einziger ist er dem Quartier treu geblieben und nutzte es bis zu seinem Tod 2014 im Alter von 86 Jahren – obschon er längst ein Weltstar und als hoch dotierter Künstler-Professor am MIT, Massachusetts Institut für Technologie, auf einer Farm in der Nähe von Boston lebte. Aber immer, wenn er in Deutschland war, hat er dort gearbeitet, mit seiner Frau Elizabeth unterm Dach gewohnt und bei „seinem“ Griechen an der Ecke gegessen.
Beim Rundgang durch die stilvoll renovierten Etagen erzählt Barbara Könches, dass Piene seine kleine, vier mal vier Meter große und fensterlose Schlafkammer ganz in Blau eingerichtet hatte – wohl als eine Reminiszenz an Yves Klein und seine Welt in Blau. Selbstgebaute Möbel, eine einfache Kochecke und ein kleines Bad zeugen davon, dass die Pienes bescheiden waren und offenbar keinen Luxus brauchten. Aus der Wohnung mit ihrer tiefer gehängten Decke ist inzwischen ein lichtdurchflutetes, schneeweißes Büro entstanden. So wie das komplette in Weiß gestrichene Ensemble wurde es nach allen Vorschriften der Brandsicherheit umgebaut und mit neuester Technik ausgestattet: Der vergammelte Steinboden durch feines Stäbchenholzparkett ersetzt, Glühbirnen gegen LED-Licht ausgetauscht, eine Feuertreppe schlängelt sich nun an der Außenfassade bis zum Dach in die Höhe. Durch das weitgehend erhalten gebliebene Treppenhaus mit seinen grauen Stufen und dem gleichfarbigen Geländer geht es ein Stockwerk tiefer. Hier befinden sich das Zentrum und der größte Schatz: Otto Pienes abgedunkeltes Feueratelier – im Originalzustand. Niemand durfte es je betreten, nicht einmal seine Ehefrau Elizabeth.
Alles wirkt unberührt, als sei er nur mal eben zur Tür hinaus und komme gleich wieder. Seit Ende der 60er bis kurz vor seinem Tod hatte er an dem langen Tisch mit dem Feuer gespielt. Ein Berg von Streichhölzern liegt noch auf den rostigen Metallplatten. Die Decke ist schwarz von Ruß. Unzählige offene Buntlack-Sprühflaschen stehen auf dem Tisch und dem Boden. An der Wand lehnt ein noch unvollendetes gelbes Feuerbild mit schwarzer Sonne, es dürfte das letzte seiner Werke gewesen sein. Piene stellte seine Gemälde über raffinierte Brennprozesse her. Erst brachte er Farbe auf die Leinwand, dann hat er alles angezündet und über die brennende Fläche gepustet. Wichtig war es, nicht den richtigen Moment zu verpassen, um das Feuer zu löschen. Als kleine Anekdote erzählt Barbara Könches, dass der Vermieter erst nach dem Tod von Otto Pienes künstlerischen Experimenten erfahren hat. „Er hat nicht gewusst und nie gemerkt, dass hier immer mit offenem Feuer – vor allem des nachts – gearbeitet worden ist.“
Es lag den Gründern der Zero-Foundation – Mack, Uecker und Pienes Familie – am Herzen, dass dieses legendäre Feueratelier authentisch im Original für die Nachwelt erhalten bleibt. Wie Heinz Mack einmal gesagt hat, sei es in seiner ganzen Art weltweit einzigartig. Und in der Tat bekommt man als Besucher in dieser „Zeitkapsel“ Gänsehaut. Inzwischen ist das Atelier durch Metallschienen und deckenhohe Glasscheiben vom Rest des Raumes getrennt. Denn der soll – so die Stiftungschefin – zukünftig für Seminare oder Vorträge genutzt werden. Der große Raum im ersten Stock, einst das Atelier von Heinz Mack – ihm war es dort aber stets zu kalt und zu dunkel – ist einerseits Büro für einige der insgesamt sechs Wissenschaftler, Archivare sowie Verwaltungsleute und der neue Ort fürs Magazin. Dafür wurde eigens ein Raum im Raum errichtet, der mit allen technischen Raffinessen wie Umluft und Temperaturmesser ausgestattet ist, um Tausende von Fotos, Briefen, Entwürfen, Projektzeichnungen, Einladungen und Plakaten aufzunehmen. Die Kunstwerke sind in einem Kunstlager untergebracht und werden für die jeweiligen Ausstellungen hervorgeholt.
Das Erdgeschoss war Ueckers Reich – hier hat er gezeichnet, gemalt, die Kunst an den Nagel gehängt und zahlreiche Spuren hinterlassen. Während der einjährigen Umbau- und Sanierungsphase wurde der Boden nicht angetastet. Die Kleckse und Farbsprenkel von einst sind beredte Zeugnisse. Der Raum ist für Wechselausstellungen vorgesehen. Denn neben der Forschung will die neue Hausherrin eines auf jeden Fall: Die Hinterhofräume an der Hüttenstraße, die auf so einmalige Art und Weise die Geschichte der Zero-Bewegung dokumentieren, diese eng bemessene Epoche zwischen 1958 und 1966, lebendig halten. Die Kunsthistorikerin sieht Zero als eine Art Verbindung von Moderne und Postmoderne. Eine der bedeutendsten internationalen Avantgardebewegungen des 20. Jahrhunderts, die von Deutschland ausging, sei heute so aktuell und hochpolitisch wie damals. Die Künstler, deren Arbeiten von Malerei über Skulptur bis hin zu happeningartigen Aktionen reichten, einte das Bestreben, eine neue Formensprache zu entwickeln, in der Licht und Bewegung, Wind und Wasser, Spiegel, Projektionen, Filme und Sounds die zentralen Elemente sind. Sie machten die Naturgewalten mithilfe der Wissenschaft zum Bestandteil der Kunst.
„Zero ist die Stille. Zero ist der Anfang. Zero. Der neue Idealismus“, heißt es im Gründungsmanifest. Mit ihrer Kunst suchten sie, die auch als Flakhelfer den Krieg erlebt hatten, einen von der Vergangenheit unbelasteten Neuanfang – eine „Stunde Null“ eben. Sie wollten raus aus dem subjektiven Befinden. Und so wie das Wort Zero den Countdown vor dem Start der Rakete beendet, wollte sich die Gruppe mit Licht- und Bewegungskunst aus der trüben Nachkriegszeit hinauskatapultieren. Keine große künstlerische Geste mehr, wie in der amerikanischen Kunst jener Tage, dem Actionpainting und Neo-Expressionismus. „Was ist das alles, Bild, Farbe, Licht, Vibration, reine Energie? Leben. Leben in Freiheit“, schrieb Otto Piene anlässlich seiner letzten Ausstellung in der Berliner Neuen Nationalgalerie. Nur einen Tag nach der Eröffnung ist er gestorben – in einem Taxi.
An der Hüttenstraße 104 ist internationale Kunst entstanden, die noch unsere heutige Kultur maßgeblich prägt. Und weil nicht nur das Atelierhaus, wo alles seinen Anfang nahm, wieder aus seinem Dornröschenschlaf erwacht ist, sondern zudem die Stiftung ihr zehnjähriges Bestehen feiert und die Zero-Bewegung vor 60 Jahren ihren Anfang nahm, steht im neuen Quartier ein dreitägiges Fest vom 18. bis 20. Oktober mit zahlreichen Aktivitäten und einem Tag der offenen Tür auf dem Programm.
Düsseldorf im Zero-Fieber, das wünscht sich Barbara Könches. Zur Vernissage ist im großen Ausstellungsraum eine Projektion an Wänden und Böden geplant. Mit dem filmischen Bilderbogen und beweglichen Objekten soll an Kunst und Künstler zur Zero-Zeit erinnert werden. Es werden Führungen durchs Haus veranstaltet. Zeitgenössische Künstler, darunter Mischa Kuball und Johanna Reich, werden den Außenraum, die Straße, die Bahnunterführung, den Fürstenplatz mit Licht und Bewegung inszenieren. In der Kunstakademie, an der Piene, Uecker und Mack als Studenten und Professoren ihre Spuren hinterlassen haben, wird zu einem internationalen Symposium geladen. In der Akademie-Galerie läuft parallel eine Otto-Piene-Ausstellung. Und weil man an der Hüttenstraße schon damals zu feiern wusste, treffen sich diesmal im Oktober die Düsseldorfer, Künstler aus aller Welt, Sammler, Galeristen, Kunstliebhaber, die Witwe Elizabeth Goldring-Piene und natürlich die Protagonisten Heinz Mack und Günther Uecker an der Ecke bei „Ottos Griechen“.