Das kreative Rückgrat der Stadt
Düsseldorf ist eine Kunststadt. Das sieht man allerdings…
Doro Pesch feiert Rock 35-jähriges Bühnen-Jubiläum.
Künstler zu sein ist echt hart“, sagt Metal-Queen Doro Pesch. „Das ist wie im Zirkus: Man muss immer auf der Höhe sein.“ Die Sängerin ist lange genug im Geschäft, um genau zu wissen, worauf es im Showbusiness ankommt. Gerade erst wurde sie mit dem „Metal Goddess“-Legend Award in Las Vegas ausgezeichnet. Sie ist jetzt ganz offiziell eine lebende Legende des Rock. Ihr 35-jähriges Bühnenjubiläum feiert die Powerfrau mit dem neuen Studioalbum „Forever Warriors, Forever United“ und einer ausgiebigen Tour. Das Top Magazin traf Doro Pesch in ihrer Heimats tadt Düsseldorf und sprach mit ihr über Aben teuer, Power-Prinzipien und Single-Dasein.
Doro, Du sagst, Künstler zu sein, ist ein harter Job. Als Außenstehender kann man das nicht nachvollziehen: 60 Minuten auf der Bühne stehen und singen – mit Verlaub, das klingt erst mal paradiesisch!
Die Zeit auf der Bühne, die ist mir die wichtigste. Ich mache das ja für die Fans. Aber der Gig macht den kleinsten Teil meiner Arbeit aus: Es geht 24 Stunden darum, alles zu geben. Körperlich, spirituell, das Herz muss offen sein. Sonst ist es nicht authentisch – und das merken die Leute. Nach dem Konzert bin ich dann immer erkältet, habe Fieber bis zu 40 Grad und mir tut alles weh. Das passiert jedes Mal, sobald das Adrenalin nicht mehr im Blut ist. Es ist aber ohnehin inzwischen alles härter geworden. Vieles hat sich gewandelt.
Was ist denn so hart am Künstlerdasein?
Die Gigs im Ausland sind jedes Mal ein Abenteuer. Es gibt keine Handtücher und oftmals auch kein Essen im Backstagebereich. Wenn ich dann nachfrage, heißt es: „Das kommt gleich.“ Bei der Aussage bleibt es dann. Letzten Endes kommt es dann nie. (lacht) Das sind die harmlosen Geschichten.
Und die weniger harmlosen Geschichten?
In Südamerika sind mir auch schon ganz andere Sachen passiert. Da war ich im Hotel, als mich mein Manager anrief und sagte, wir müssen das Konzert absagen, weil vor Ort katastrophale Zustände herrschen. Ich bin niemand, der Gigs absagt, schließlich freuen sich die Fans auf das Konzert. Er konnte mich letzten Endes nur damit überzeugen, dass die Sicherheit der Fans nicht gegeben war. Wir begründeten die Absage damit, dass ich krank geworden sei. Wenig später bekam ich einen Anruf von der Rezeption: „Hier steht der Veranstalter und will die kranke Sängerin sprechen. Sind Sie das?“ Es stellte sich heraus, dass er nicht alleine gekommen ist, sondern zehn Typen mit Baseballschlägern bei ihm waren. Und ich sollte in die Lobby kommen. Da habe ich dann schnell meinen Manager angerufen, ihm davon berichtet – und wir sind sofort durch den Notausgang in den Tourbus geflüchtet. Ohne Instrumente, ohne alles! Wir fuhren los – und die Typen plötzlich hinter uns her! Fünf Stunden haben sie uns verfolgt, ich habe immer wieder hinten im Bus durch die Gardine geschaut, ob sie noch da sind …
Die Geschichte ist natürlich wirklich extrem. Welche Schlüsse hast Du daraus für Dich gezogen?
Ach, mir macht das nicht so viel aus. Ich mag Abenteuer. Mein Vater war Transportunternehmer. Ich bin schon als Baby mit ihm im Lkw gefahren. Einige meiner Bandmitglieder hingegen sind ausgestiegen. Die haben dieses Leben auf Tour gar nicht mehr ausgehalten.
Das klingt jetzt aber sehr abgebrüht, was Du da sagst. Mit irgendetwas muss man Dich doch auch schocken können. Hand aufs Herz!
Wenn der Körper nicht mehr mitmachen würde. So wie bei meinem guten Freund Ronnie James Dio, der Krebs hatte, oder bei Lemmy (Kilmister, Sänger der Band Motörhead, gestorben 2015 – Anm. d. Red.). Bei ihm wurde ja auch erst kurz vor seinem Tod festgestellt, dass er unheilbar krank ist.
Täusche ich mich oder nimmt Dich das immer noch sehr mit?
Ja, das nimmt mich immer noch mit. Lemmy hatte so ein tiefes Herz. Klar, er hat es auch sehr krachen lassen. Aber dahinter steckte eine ganz sensible Seele. Er war der Erste, den ich damals in diesem Geschäft kennengelernt habe. Er und Ronnie James Dio waren meine besten Freunde im Musikbusiness. Ich weiß noch, wie Lemmy und ich damals in einem Mietwagen durch L.A. gefahren sind, Lemmy hat die ganze Zeit gesungen. Das war eine tolle Zeit. Wir haben ganz viele Tourneen zusammen gemacht. Lemmy kann man nicht ersetzen. Er war so herzlich, wild, authentisch. Ein richtiger Typ eben.
Deine größte Angst ist verständlicherweise, dass Du krank wirst. Was tust Du, um das zu vermeiden und Deine Power aufrechtzuerhalten?
Ich habe zum Beispiel einen Personal Trainer, Tobias Kleinhans. Bei ihm mache ich Wing-Tsun, das ist eine Kampfkunst-Art. Selbstverteidigung kann nicht schaden, habe ich mir gedacht, denn ich bin ja sehr klein. Außerdem habe ich mal gelernt, man soll nichts essen, was ein Gesicht hat. Deshalb bin ich Vegetarier, fast schon Veganer. Alkohol trinke ich auch nur mal an Silvester und dann nur ein Glas. Als Sänger muss man auf sich aufpassen. Ein Keyboarder oder Schlagzeuger, der kann sich auch mal hinter seinem Instrument verstecken, wenn es ihm nicht gut geht. Bei einem Sänger funktioniert das nicht.
Dein Personal Trainer ist hier in Deutschland. Ist Dein Lebensmittelpunkt nicht mehr in den USA?
Doch, eigentlich schon. Ich habe je eine Wohnung in Florida, in New York und in Düsseldorf. In letzter Zeit bin ich aber oft wegen meiner Mama hier. Sie wird ja auch immer älter … Was die Musik angeht, fahre ich jetzt öfter nach Skandinavien. Dort gibt es ganz tolle Tonstudios, so richtig schön oldschool. Das ist selten, in den heutigen Studios ist immer alles sehr steril. Da steht nur ein Computer und es besteht gar nicht mehr die Möglichkeit, alle Instrumente gleichzeitig aufzunehmen. Man ist also gar nicht mehr gemeinsam im Studio. Doug Aldrich von Whitesnake beispielsweise hat mir einen Song von seinem Studio aus geschickt. Das ist auch gut …
Also hat die Digitalisierung auch was Gutes?
Das schon. Man kann aus der ganzen Welt Songs bekommen. Trotzdem ist mir diese Studio-Atmosphäre wichtig. Ich mag diese kleinen, dreckigen Tonstudios, wie man sie von früher her kennt. Ich mache halt gerne oldschool-Sachen, die dann auch eine Bedeutung haben. So wie die gemalten Plattencover. Das neue Artwork hat auch Monate gedauert. Es ist wieder von meinem Lieblingsmaler Geoffrey Gillespie. Er hat schon 1987 für mich gearbeitet.
Wie ist das Artwork entstanden?
Ich habe Geoffrey meinen neuen Song „Soldier of Metal“ geschickt. Darauf basierend hat er das Cover gemalt. Mein neues Album wird es übrigens auch als Vinylscheibe geben.
Wir haben noch gar nicht über das neue Album gesprochen …
Ja, genau! Auf dem Album sind 25 Songs – also die ganze Bandbreite. Von supersensibel bis superhart. Es gibt einen deutschen Song. Könnte mir vorstellen, dass das in Zukunft der letzte Song beim Konzert sein wird, er heißt nämlich „Freunde fürs Leben“. Es gibt auch eine Ballade mit dem Keyboarder von Bon Jovi, sie heißt „It cuts so deep“. Dazu wird es auch ein Video geben. Die erste Single ist aber „All for Metal“ mit ganz vielen Größen aus dem Metal-Bereich. Der Song wurde deshalb überall auf der Welt aufgenommen. Es ist insgesamt eine sehr gefühlvolle Platte mit vielen Hymnen, vielen Metal-Songs. Ach ja, und die Platte ist Lemmy gewidmet. Einen Motörhead-Coversong gibt es auch auf dem Album: „Lost In The Ozone“. Wenn man denkt, man ist der einzige Mensch auf der Welt, dann muss man diesen Song hören. Dann weiß man, man ist nicht der einzige. Auch Lemmy hat sich alleine gefühlt. Es gibt eine Stelle, die ich nur unter Tränen singen konnte:„I turned my face to God/but he turned his face away.“
Deine Fans sind Dir sehr wichtig …
Alles, was ich an mir an Schmuck trage, stammt von meinen Fans. Es gibt in Belgien zum Beispiel einen Fan: Sie hat ihren Sohn „Herzblut“ genannt, nach einem meiner Songs. Vanessa kommt immer zu meinen Shows. Inzwischen bringt sie auch Herzblut mit, er ist inzwischen so ungefähr vier Jahre alt.
Worum geht es bei Deinem Albumtitel?
Es geht darum, auch für alte Werte zu kämpfen – für Gefühl und Mitmenschlichkeit. Für andere da zu sein. Dieser Metal-Spirit, wie in Wacken, diese Gemeinschaft, das ist absolut meins. Mit ganz viel Herz – dafür stehe ich. Früher haben wir im Tourbus immer so gute Gespräche geführt. Heute redet keiner mehr. Alle gucken nur auf ihr Smartphone. Aber ich kann ja leider schlecht ein Handy-Verbot aussprechen. Dadurch entstehen auf Tour doch auch viel weniger Songs. Das nimmt einem doch die Kreativität. Selfies sind viel wichtiger geworden. Wenn wir früher an einer Halle ankamen, wurde als Erstes die Frage gestellt, welche PA wir haben. Heute: Haben wir Wi-Fi?
„Die Guten müssen zusammenhalten und für eine positive Stimmung sorgen. Wir müssen stärker denn je sein.“
Auf dem Album äußerst Du Dich auch politisch. Worum geht es Dir genau?
Seitdem Trump an der Macht ist, herrscht in den USA eine schlechte Stimmung. Das kannte ich vorher so gar nicht. Freiheit, Toleranz, das gibt es so nicht mehr. Da sind jetzt sehr viele negative Vibes. Leute mit Frust und Hass kommen an die Oberfläche, vieles ist einfach unmenschlich geworden. Bei mir zählt hingegen Gefühl und Herz. Meine Lieblingsstadt war zum Beispiel immer Manhattan. Dort ist man hingegangen, weil da einfach gute Stimmung herrschte. Das ist ja für einen Musiker sehr wichtig. Er braucht ein kreatives, aufgeschlossenes, positives Umfeld, um seine Ideen umsetzen zu können und einfach auch mal verrückt zu sein. Der Tenor der Platte ist: Die Guten müssen zusammenhalten und für eine positive Stimmung sorgen. Wir müssen stärker denn je sein. Wenn ich mir beispielsweise die Waffengesetze in Florida ansehe … Der Amoklauf an einer Schule dort ist nur wenige Meter von meiner Wohnung entfernt passiert.