„Ich bin niemand, der einsame Entscheidungen trifft“
Die Juristin Birgitta Radermacher ist Regierungspräsidentin in Düsseldorf und verantwortlich für 2000 Mitarbeiter. Im Top-Interview erzählt sie, was sie an ihrer Aufgabe reizt, wo die Herausforderungen liegen und warum sie kontroverse Diskussionen im Team durchaus schätzt.

Birgitta Radermacher, Regierungspräsidentin in Düsseldorf
„Frauen müssen nicht klüger sein oder mehr leisten als Männer, sie müssen allerdings lernen, mehr Werbung für sich zu machen und mehr Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten zu haben.“
Sie sind seit 2017 Regierungspräsidentin im Regierungsbezirk Düsseldorf. Was hat Sie an dieser Aufgabe gereizt?
Nach knapp acht Jahren als Polizeipräsidentin im Bergischen Städtedreieck habe ich mir gewünscht, noch einmal eine neue Aufgabe zu übernehmen. Dass es dann diese wurde, ist allerdings nicht das Ergebnis einer stringenten Karriereplanung, es hat sich einfach so ergeben. Gereizt hat mich an dieser Aufgabe tatsächlich die Vielfalt, wobei sich mir das ganze Ausmaß der Komplexität erst so nach und nach erschließt. Das geht von der Anerkennung nichtakademischer Heilberufe, über Luftreinhalteplan und Deichbau, bis zur Digitalisierung und den gesamten Schulbereich, um nur einige Beispiele zu nennen. Der Bezirk ist ausgesprochen groß mit zehn Städten und fünf Landkreisen – da kann man sich nicht über Langeweile beklagen.
Wie haben Sie die derzeitige Position erreicht?
Ich bin eine politische Beamtin, diese Positionen werden vom Kabinett des Landes Nordrhein-Westfalen bestellt. Ich hatte zuvor 20 Jahre als Anwältin gearbeitet, später dann in Siegen als Kommunalbeamtin. Ich habe also keine klassische Verwaltungslaufbahn durchlaufen wie die meisten meiner Kollegen.
Was fasziniert Sie an Ihrem Beruf?
Mich fasziniert zum einen die oben beschriebene Vielfalt, und zum anderen, dass ich gerne die Behörde nach innen und nach außen vertreten möchte. Intern würde ich gerne überzeugend vermitteln, dass wir sehr stolz auf unsere Leistung sein können. Extern wünsche ich mir, dass die Bezirksregierung als moderner aufgeschlossener Arbeitgeber wahrgenommen wird und dass die Ministerien uns als ebenbürtige Partner sehen. Ich möchte den Kommunen und Städten ein guter fairer Berater in vertrauensvoller Zusammenarbeit sein.
Sie sind für die Position von Köln nach Düsseldorf-Unterbach gezogen?
Das stimmt. Ich hätte pendeln können, aber dann hätte ich sicherlich sehr viel Zeit auf der Autobahn verbracht, dafür ist mir meine Lebenszeit zu wertvoll. Ich wohne jetzt im Grünen, das genieße ich sehr und bin schnell im Büro.
Der Sitz der Regierungspräsidentin: Das imposante Gebäude an der Cecilienallee in Düsseldorf-Pempelfort wurde 1907 bis 1911 nach Plänen von Traugott von Saltzwedel im Stil des Neobarock erbaut und am 19. Oktober 1911 eingeweiht.
Wie würden Sie Ihren Führungsstil bezeichnen?
Ich bin niemand, der einsame Entscheidungen trifft. Ich rede gerne mit den Menschen, höre mir auch ihre Meinung an und wünsche mir durchaus kontroverse Diskussionen im Team zu manchen Themen. Gleichwohl scheue ich es nicht, Entscheidungen zu treffen und dafür dann auch gerade zu stehen. Nach meinem Dafürhalten kann ich Mitarbeiter auch leichter motivieren, wenn ich sie auf meinem Weg mitnehme und sie verstehen, warum ich in eine ganz bestimmte Richtung möchte.
Haben Sie den Eindruck, dass Frauen mehr leisten müssen als Männer, um ihre beruflichen Ziele zu erreichen oder um leitende Positionen zu bekommen?
Frauen müssen nicht klüger sein oder mehr leisten als Männer, sie müssen allerdings lernen, mehr Werbung für sich zu machen und mehr Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten zu haben. Ich habe in Wuppertal als Polizeipräsidentin ein Mentoren-Programm initiiert – genau aus diesem Grund. Wir haben super tolle, gut ausgebildete Frauen, viele brauchen aber nach wie vor das Gefühl, dass man ihnen auch große Aufgaben zutraut.
Wie wichtig ist Networking?
Ich bin ein großer Fan davon. Sich auszutauschen ist immer nützlich. In Köln war ich aktives Mitglied im Zonta-Club, ich stehe auf Frauen-Netzwerke, erst recht in dem Sinne, dass es so etwas wie kollegiale Supervision gibt. Sich gegenseitig zu bestärken, auch mal Themen ansprechen zu können, die einen gerade im Job beschäftigen, das bringt mich persönlich weiter. Und das bekomme ich erfahrungsgemäß mit Frauen vertrauensvoller und intensiver hin als mit Männern.
Woran liegt das aus Ihrer Sicht?
Frauen haben eine andere Gesprächskultur als Männer, mit ihnen kann man sich austauschen und ein Thema gemeinsam erarbeiten. Männer sind da verschlossener und tendieren dazu, gleich Lösungen zu präsentieren.
Was geben Sie Berufseinsteigerinnen mit auf den Weg?
Unablässig am Selbstverständnis zu arbeiten, sich immer wieder zu sagen: „Hey, ich bin gut“ oder sich auch einfach mal zu freuen, wenn etwas prima geklappt hat. Und vom Auftreten her Kompetenz zu vermitteln, da können wir noch viel von den Männern lernen. Das können sie einfach besser.
Was war bislang Ihre größte Herausforderung?
Zu meiner Zeit als Polizeipräsidentin in Wuppertal patrouillierten radikale Islamisten in Wuppertal nachts als „Scharia-Polizei“ durch die Straßen. Ein Umstand, der bundesweit für Aufsehen sorgte, den sogar die New York Times aufgriff. Die jungen Männer wurden angeklagt, aber Ende 2016 vom Wuppertaler Landgericht freigesprochen. Kürzlich hob der Bundesgerichtshof diese Freisprüche auf. Es muss neu verhandelt werden. Das ging mir damals schon unter die Haut. Aktuell haben wir eine Menge Themen, die mich mit Beschlag belegen, sei es der Luftreinhalteplan in Düsseldorf, sei es die Frage des Breitbandausbaus, sei es die Frage der optimalen Lehrerversorgung, die Bandbreite ist groß. Und für alles wünsche ich mir gute Lösungen.
Auf welche Erfolge sind Sie besonders stolz?
Persönlich rechne ich es mir als Erfolg an, dass ich drei wunderbare Kinder habe. Das ist nicht nur Glück, das war auch Arbeit. 2000 habe ich den Landesverband Donum Vitae mitgegründet und war fünf Jahre dessen Vorsitzende. Wir haben in dieser Zeit 38 Beratungsstellen in NRW aufgebaut. Zum Vergleich – in Bayern gab es seinerzeit vier. Auf diesen Erfolg bin ich stolz.
Wie gehen Sie mit Niederlagen um?
Erst mal durch den Wald joggen. Danach bin ich wieder klar im Kopf. Je älter ich werde, desto mehr erkenne ich, dass tatsächlich aus dem, was man als Niederlage empfindet, auch immer etwas Gutes wächst. Das liegt eventuell daran, dass man über die Ursache einer Niederlage stets länger nachdenkt als über den Grund eines Erfolges. Die Analyse ist wichtig, so dass man letztlich die Situation neu bewerten kann und, toi,toi,toi – ich bin auch immer wieder auf die Füße gefallen – auch, weil ich dabei immer aufgefangen wurde durch gute Kollegen und kluge Mitarbeiter.
Sie haben drei Kinder und fünf Enkelkinder. Wie haben Sie es geschafft, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen und Karriere zu machen?
Bei den Enkelkindern kann man nur noch genießen, man muss nicht mehr erziehen. Ist das nicht toll? Ich habe alle Kinder während der juristischen Referendarzeit bekommen und das ließ sich seinerzeit nur organisieren durch die Hilfe meiner Schwiegermutter. Ohne sie, die wirklich immer für uns da war, wäre das gar nicht möglich gewesen. Nach dem Examen machte ich mich mit drei Kindern als Rechtsanwältin selbstständig. Schon damals hatte ich ein Frauennetzwerk – alles berufstätige Mütter, wir haben uns gegenseitig unterstützt und uns in der Kinderbetreuung abgewechselt.
Sie haben eine Position, die auch viele Abendtermine mit sich bringt. Bleibt bei allen Aktivitäten noch Zeit fürs Private?
Ich stehe immer um 5.45 Uhr auf und fahre dann zwei Mal die Woche zum Schwimmen in den Düsselstrand. Ansonsten gehe ich bei jedem Wetter 40 Minuten joggen. Das Schöne an meiner Aufgabe ist auch, dass ich Arbeit und kulturelle Interessen verbinden kann: Ich bin Schirmherrin des Chors der Landesregierung, gehe gern ins Schauspielhaus. Und im Januar habe ich viel Karneval gefeiert, da gehen Dienst und Privates zusammen, denn auch das ist wieder Netzwerken. Ich lerne immer gerne neue Menschen kennen.
Die beste Art für Sie schnell aufzutanken?
Beim Quatschen mit meiner besten Freundin Ute, sie lebt in Köln, aber wir telefonieren sehr oft. Und ich lese sehr gerne und viel.
Birgitta Radermacher im Gespräch mit Ulrike ter Glane (Top Magazin, v.l.)
Zu Ihren Hobbys zählt unter anderem Motorradfahren…
… das stimmt, ich habe mit 21 Jahren den Motorradführerschein gemacht und mir vor einigen Jahren eine BMW 1100 RS gekauft. Ich bin eine Schönwetterfahrerin und habe auch schon Urlaube mit dem Motorrad gemacht, in Frankreich oder der Mecklenburgischen Seenplatte. Das ist immer sehr entspannend, weil man sehr minimalistisch unterwegs ist. Ich reise dann mit kleinem Gepäck, man muss sich morgens nicht großartig zurechtmachen, sieht unter dem Helm eh keiner – herrlich!
Mit wem würden Sie gern mal einen Abend verbringen?
Entweder mit Papst Franziskus oder Winnetou. Ich bin katholisch, aber nicht mit allem einverstanden, was die katholische Kirche so macht oder gemacht hat. Mich würde interessieren, was den Papst bewegt, die offizielle Kirche langsam aber sicher zu modernisieren. Er wirkt auf mich wie ein interessanter Mann, der klug zu erzählen weiß. Winnetou war der Held meiner Kindheit, ich habe fast alle Karl-May-Bücher gelesen und das war eine Welt voller Edelmut, das fand ich damals großartig.
Gibt es noch einen Traum, den Sie sich erfüllen wollen?
Ich würde gerne noch mal alleine wandern gehen. Ich bin vor zwei Jahren vier Wochen lang mit Rucksack auf den Franziskusweg von Florenz nach Rom gegangen. Auf der Strecke selbst sind mir in der ganzen Zeit sieben Menschen begegnet. Eine tolle Erfahrung! In Norwegen gibt es etwas Vergleichbares – den Olafsweg, der würde mich noch sehr reizen.